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Interkulturelle Woche 2024: noch Platz für neue Räume?

Johannes Brandstäter

„Neue Räume“ will die Interkulturelle Woche in der Einwanderungsgesellschaft schaffen. Dafür gibt es wie seit mittlerweile fast fünfzig Jahren im September Angebote zur Begegnung, Austauschformate, Informationsangebote. Nun zeigte sich: erstmal geht es darum, bestehende Räume zu verteidigen. In Pirna in der sächsischen Schweiz durfte eine Flüchtlingsinitiative die Schau Es ist nicht leise in meinem Kopf im Landratsamt präsentieren. Doch noch vor der Eröffnung wurde die Bilderausstellung auf Betreiben des Amts wieder abgehängt. Die Begründung: es habe „Beschwerden“ gegeben, und die Ausstellung habe bei Besuchern und Mitarbeitern des Amts "polarisiert" und "für eine aufgeheizte Stimmung unter den anwesenden Betrachtern" gesorgt. Es hat wohl Personen gegeben, die sich von den dargestellten Flüchtlingsschicksalen so sehr befremdet fühlten, dass ein Klärungsprozess mit der Integrationsbeauftragten nicht mehr abgewartet wurde.

Die Raumfrage wurde schnell geklärt: die Kirche St. Heinrich und Kunigunde stellte ihr Gotteshaus zur Verfügung, dort wird die Schau ab 25. September zugänglich sein. "Es geht darum, Menschen, die zu den Schwächsten gehören, ein Gesicht und eine Stimme zu geben", sagt der zuständige Pfarrer. Der Vorgang zeigt: die Kirche ist, wieder, ein besonderer Ort in der Gesellschaft. Hier wird Sicherheit und Schutz für Geflüchtete verteidigt, was eigentlich zum staatlichen Auftrag gehört.

Der Vorgang in Pirna ist noch immer ein Fall, der überregional Entrüstung auslöst. Doch wie ist es tatsächlich um neue Räume bestellt? Zurzeit nicht so gut. Pirna steht für eine wachsende Strömung, die die bisherigen Akzeptanzräume für Asyl und humanitäre Einwanderung zu überrollen droht. Asyl und Migration sind zum Profilierungsfeld für Parteipolitik geworden, aber zu Unrecht. Die anhaltende Einwanderung bewahrt die Republik in der Versorgung mit Dienstleistungen von Gastronomie über Paketzustellung bis Pflege vor gravierenden personellen Engpässen. Gesprochen wird aber nur über die vollen Busse und Bahnen, über die in den Bevölkerungsprognosen nicht eingeplanten zusätzlichen Schülerinnen und Schüler, und über den knappen Wohnraum. Die Einwanderung gleicht die Alterung der Gesellschaft aus und lässt die Bevölkerung langsam, aber stetig wachsen. Um die nötigen Investitionen zu tätigen, hätte es schon längst einer Abkehr von der Schuldenbremse bedurft. Doch davon wollen die regierenden Parteien, erst recht nicht die neu erstarkenden Parteien, nichts wissen. Stattdessen sagen sie: „Deutschland braucht mehr Ordnung und Kontrolle in der Migrationspolitik.“ In der Welt vieler Parteipolitikmachender ist Migration etwas, das sich in Verwaltungsakte übersetzen und steuern lässt. Wie technokratisch ist das denn.

Es gibt vieles in der Republik, das nicht gut funktioniert, doch die Migration ist für Mängel in Schule, Wohnungsbau und Verkehr nicht hauptsächlich verantwortlich. Leider ist es auch so, dass es in der von Krisen und Kriegen geschüttelten Welt weiter humanitär begründete Einwanderung geben wird. Damit muss politisch umgegangen werden. Und es muss der Bevölkerung erklärt werden.

Wo Politik zu versagen droht, braucht es zivilgesellschaftliches Engagement. Die Interkulturelle Woche schafft die Räume dafür, unermüdlich und immer wieder neu, an 500 Orten in der Bundesrepublik. Die Veranstaltenden berichten von einer guten Stimmung bei der Eröffnung der Interkulturellen Woche am 22. September in Saarbrücken.

 

Interkulturelle Woche und Neue Räume www.interkulturellewoche.de
Pressemitteilung zum Vorgang in Pirna www.interkulturellewoche.de/node/4366
Einwanderungspolitik und Einwanderungsgesetzgebung, Diakonie Texte 07.2019
Asyl und Migration beim Deutschen Institut für Menschenrechte www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/asyl-und-migration

 

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