Einwanderungsgesellschaft: Es kommt zu Kriminalität, aber die Art, wie wir darüber reden, macht alles viel schlimmer

Bestrafung ist Sache der Justiz, nicht des Aufenthaltsrechts. Foto: pixabay

Medien stellen eine Verbindung von Asyl zu Kriminalität und Gewalt her, nicht nur aktuell bei den PKW-Attacken in verschiedenen Innenstädten und anderen Gewalttaten. Ist die Bundesrepublik durch Einwanderung unsicherer geworden? Die Diskussion darüber stellt die Aufnahme von Geflüchteten in Frage und polarisiert die Gesellschaft. In diesem Blogbeitrag zeige ich, wie Kriminalität und Migration zusammenhängen und wie nicht. Einwanderung führt an sich nicht zu mehr Kriminalität. Und harsche Migrationskontrolle garantiert keineswegs verminderte Kriminalität. Auf drei ausschlaggebende Gesichtspunkte gehe ich ein:

  • Für den überproportionalen Anteil ausländischer Straftäter in den Statistiken ist nicht Einwanderung verantwortlich, sondern Risikofaktoren wie die soziale Lage, das Alter und Geschlecht, demografische und andere Faktoren.
  • Medienberichterstattung und Aufmerksamkeitsspiralen führen zu verzerrten Wahrnehmungen, und in ihrer übergroßen Mehrheit sind Eingewanderte bzw. Nicht-Deutsche rechtschaffene Bürgerinnen und Bürger.
  • Im internationalen Vergleich ist Deutschland sicher, und die Verbrechenszahlen in der Bundesrepublik sind trotz starker Zuwanderung langfristig rückläufig.

 

1. Wie häufig sind Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit kriminell?

Ausländische Tatverdächtige sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik stark überproportional vertreten. Ihr Anteil, unter Abzug von ausländerrechtlichen Verstößen, lag 2023 bei 34 Prozent, während ihr Bevölkerungsanteil nur 15 Prozent beträgt. Hierbei sind aber auch Tatverdächtige mitgezählt, die über die offenen Grenzen zum Beispiel zum Autoklau eingereist waren, ihren Wohnsitz aber im Ausland haben. Zu berücksichtigen ist bei einer Bewertung auch, dass aufenthaltsrechtliche Delikte per se nur von Nicht-Deutschen begangen werden können. Eingebürgerte Eingewanderte werden in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen.

Seit Corona, also seit 2021, nimmt die Zahl der gemeldeten Gewaltdelikte zu, und ebenso die Zahl der tatverdächtigen Ausländer. Die Zahlen des Bundeskriminalamts weisen den Anstieg nichtdeutscher Tatverdächtiger sehr deutlich aus, auch wenn die Polizeistatistik in mancher Hinsicht erläutert und hinterfragt werden muss.

Längst nicht in allen von der Polizei registrierten 2 Millionen Verdachtsfällen kommt es zur gerichtlichen Aufklärung und einem strafrechtlichen Urteil. 2022 sprachen die Gerichte 400.000 Verurteilungen aus. 217.000 Verurteilte waren ausländischer Staatsangehörigkeit, also mehr als die Hälfte. Sie machen allerdings nur etwa 1,5 Prozent der ausländischen Bevölkerung aus.

Ein Blick auf den Strafvollzug zeigt, dass zum Stichtag 31. März 2023 insgesamt etwa 44.000 Menschen im Gefängnis saßen. Ein Drittel oder knapp 16.000 von ihnen hatten eine ausländische Staatsangehörigkeit. Auch in dieser Statistik werden Deutsche mit Migrationshintergrund nicht gesondert ausgewiesen.

„Hinsichtlich der Bewertung des Tatverdächtigen-Anteils von Nichtdeutschen ist Vorsicht geboten“, warnt das Bundesinnenministerium in seinem periodischen Sicherheitsbericht. Der Bericht fasst die Forschungslage so zusammen, „dass diese Unterschiede im Wesentlichen durch andere Faktoren (als das Merkmal ‚Zuwanderer‘) wie den sozioökonomischen Status, die Teilhabechancen in der Gesellschaft und auch die Überrepräsentation nichtdeutscher Personen in urbanen gegenüber ländlichen Gebieten zu erklären sein könnten.“

Wie kommt es bei Ausländern zu höheren Delinquenzen?

Risikofaktoren für Delinquenz sind nicht angeboren und liegen nicht in der Person und ihrer Herkunft, sondern in den Lebensbedingungen, ihrer sozialen Lage, dem Geschlecht, dem Alter und der Bildung. Auch Fluchterfahrungen, Aufenthaltsunsicherheit und Traumatisierungen können eine Rolle spielen. Die Risikofaktoren bestehen ganz unabhängig von der Staatsangehörigkeit, kommen aber bei der eingewanderten bzw. ausländischen Bevölkerung stärker zum Tragen.

Insbesondere die zweite Generation weist Probleme auf, wie internationale Forschungsergebnisse zeigen. Eingewanderte und ihre Familien sind unterschiedlich erfolgreich dabei, sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Viele Kinder Eingewanderter erreichen überdurchschnittliche Bildungsabschlüsse und erzielen hohe Einkommen. Andere haben sich eine auskömmliche Existenz aufgebaut und sind in die Mittelschicht aufgestiegen. Diese Bevölkerungsschichten drücken die Kriminalitätsstatistiken eher nach unten. Gering Qualifizierten droht dagegen der soziale Abstieg bei einer Mischung aus Arbeitslosigkeit, Diskriminierungserfahrungen, Racial Profiling, schwachen Gemeinschaftsstrukturen und einem unterausgestatteten Bildungssystem, das Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien nicht mitnimmt.

Die Tatverdächtigen sind zu drei Vierteln Männer, meist solche unter 30 – unabhängig von der Nationalität. Das ist in anderen Ländern übrigens ähnlich.

Der Justizvollzug mit seinem hohen Anteil Nicht-Deutscher und in der großen Mehrzahl Männern bzw. männlichen Jugendlichen stellt sich insofern als ein Auffangbecken für gesellschaftliche Probleme dar, denen wir uns nicht ausreichend stellen, wie zum Beispiel Suchterkrankungen, psychische Erkrankungen, Wohnungslosigkeit, Armut, Männergewalt, und die aus unserem Blick ‚hinter Gittern‘ verschwinden.

 

2. Aufmerksamkeitsspirale führt zu verzerrter Wahrnehmung und erzeugt Diskriminierung

Ausländer werden häufiger verdächtigt, verhaftet und verurteilt. Medienberichte und „social media“ schenken einer ausländischen Nationalität von Tatverdächtigen mehr Aufmerksamkeit als anderen Tatkonstellationen wie etwa der Gewalt von Männern gegen Frauen. Das verstärkt Vorurteile gegen Schutzsuchende, Zuschreibungen führen zu selektivem Anzeigeverhalten der Bevölkerung und zu stärkeren Reaktionen der Sicherheitskräfte gegen solchermaßen markierte Eingewanderte. Unter diesem Teufelskreis kommt es zu strukturellen Diskriminierungen in der Strafverfolgung. Übrigens sind unter den Opfern ausländische Staatsangehörige im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil häufiger vertreten als deutsche.

 

3. Langfristig nimmt die Kriminalität ab, und im internationalen Vergleich lebt es sich hier sicher

Einwanderung führt jedoch keineswegs zu mehr Kriminalität an sich. Obwohl die Bevölkerung dank Einwanderung wächst und es wegen des Geburtendefizits immer weniger „Ursprungsdeutsche“ gibt, nimmt den Sicherheitsbehörden zufolge die Kriminalität seit 2009, mit einigen Schwankungen von Jahr zu Jahr, ab. Bis 2021 sank im Großen und Ganzen auch die Zahl der Gewaltdelikte. Sie könnte sich, wenn der nach der Corona-Pandemie spürbare Anstieg überwunden ist, erneut dem langfristigen Trend des langsamen Zurückgehens anpassen.

In der Bundesrepublik lebt es sich sicherer als in den meisten anderen Ländern weltweit. Die Gefahr, das Leben durch Gewalt und Kriminalität zu verlieren, ist hier extrem gering. Bei den Tötungsdelikten erreicht Deutschland in einer Rangliste der Vereinten Nationen einen super niedrigen Wert. Die noch amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser bestätigt es wie zuvor ihr Vorgänger Horst Seehofer 2021.

Somit prägt die Einwanderung in die Bundesrepublik zwar das Gesicht ihrer Verbrechensstatistiken, führt aber insgesamt nicht zu einer absoluten Zunahme von Kriminalität – es klingt wirklich paradox. Und eine weitere Überraschung: Es lässt sich auch nicht belegen, dass es mit weniger Einwanderung noch weniger Kriminalität als ohnehin geben würde. Der Migrationsforscher Hein de Haas berichtet in seinem Buch von den 22 populären Migrationsmythen von einem Trend, wonach Eingewanderte allgemein weniger kriminell sind. „Zuwanderer haben oft einen konservativen, gemeinschaftsorientierten und religiösen Hintergrund und orientieren sich an traditionellen Werten wie Solidarität, Respekt und Arbeit“ (Seite 247). Literatur zu den Vereinigten Staaten belegt sogar, dass selbst irreguläre Zugewanderte weniger kriminell auffällig sind als reguläre oder Einheimische. Sie „gehören oft zu den gesetzestreuesten Bürgern … sie haben einen starken Anreiz, möglichst nicht aufzufallen, zu arbeiten und jegliche Straftat zu vermeiden“ (Seite 247).

Die von Aufmerksamkeitsheischen getriebenen Mediendiskurse und die Algorithmen schaffen also ein krasses Zerrbild von der Wirklichkeit.

Wie könnte eine verbesserte Bekämpfung von Kriminalität aussehen?

Auch wenn Einwanderung in einigen Aspekten die Situation von Verbrechen und Gewalt erheblich mitprägt, liefern Grenzkontrollen und Abschiebungen keine durchgreifenden Ergebnisse. Die Grenzen noch dichter zu machen, schafft hohe Kosten für die Wirtschaft und ist mit hohen Personalaufwand verbunden. Abschiebungen sind nur im Rahmen der Gesetze und nur für die zahlenmäßig kleine Gruppe von Ausreisepflichtigen möglich. Sie funktionieren nur, wenn ein anderer Staat die Menschen aufnimmt, und in Staaten der europäischen Freizügigkeit eh nicht. Wo es dennoch zu systematischen Abschiebungen von irregulär Eingewanderten kam – in den USA – führten diese einer Untersuchung zufolge nicht zu verringerter Kriminalität.

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