@Verlag für Regionalgeschichte

Buchvorstellung: „Biologiepolitik und Evangelische Kirche“

Eine Quellenedition zur Haltung der Diakonie zur Eugenik in der NS-Zeit

Michael Häusler

Was bedeutet es, wenn die Diakonie Deutschland sich heute für die volle Anerkennung der Opfer von Zwangssterilisation und NS-„Euthanasie“ und eine angemessene Erinnerungsarbeit einsetzt? Geht es dabei nur um die Unterstützung eines interfraktionellen Antrags im Bundestag, der am Donnerstag, dem 30.1., vom Bundestag behandelt und hoffentlich verabschiedet wird? Tatsächlich betrifft das Thema die Diakonie ganz unmittelbar.

Diese klare Haltung zur Anerkennung der Zwangssterilisationen als NS-Unrecht vertrat die Diakonie nicht immer. Unter Verweis auf die eugenische Praxis in der Schweiz, den USA und skandinavischen Ländern vertrat eine Mehrheit in der deutschen Politik und Gesellschaft bis in die 1970er Jahre den Standpunkt, dass eine rechtlich angeordnete Sterilisation von erbkranken Menschen nicht per se gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoße. Die Diakonie verteidigte dabei implizit auch ihre aktive Beteiligung an den Zwangssterilisationen im „Dritten Reich“.

Eugenische Fragen wurden seit dem ersten Weltkrieg in Wissenschaft und Gesundheitswesen breit diskutiert, auch im Bereich der Inneren Mission (wie die Diakonie damals hieß). Unter dem Eindruck steigender Kosten im Bereich der Heil- und Pflegeanstalten gründete der Central-Ausschuss für Innere Mission 1931 einen „Fachausschuss für eugenetische Fragen“, der für den Bereich der evangelischen Kirche gemeinsame Positionen und Handlungsanweisungen entwickeln sollte. Seit 1933 firmierte er zeitgemäß als „Ständiger Ausschuss für Rassehygiene und Rassepflege“. Bis zu seiner Auflösung 1938 besprachen 130 Fachleute aus Theologie, Medizin, Recht und Wohlfahrtspflege Fragen der Sexualität und des Beginns des Lebens sowie den Umgang mit zwangssterilisierten Menschen.

Die Bedeutung dieser Quellen reicht weit über den Bereich der Diakonie hinaus

Die Wortprotokolle der Sitzungen dieses Ausschusses stellen eine einmalige Quelle über den Meinungsbildungsprozess zu diesen Themen am Ende der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus dar. Ihre Bedeutung reicht weit über den Bereich der Diakonie hinaus.

Die Protokolle liegen nun vollständig und wissenschaftlich kommentiert in einer Edition vor. Ergänzt werden sie durch eine umfangreiche Einleitung, Literaturhinweise und die Biogramme aller teilnehmenden Personen. Zusammen mit den Herausgebern Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser (Universität Marburg) und Dr. Uwe Kaminsky (Institut für Geschichte der Medizin an der Charité Berlin) stellte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch dieses Buch am 27. Januar 2025 in Berlin der Öffentlichkeit vor. Das Datum, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, ist natürlich bewusst gewählt.

Die Diakonie Deutschland dokumentiert damit, dass sie ihre Forderungen nach Anerkennung der Opfer der NS-Eugenik verbindet mit einer aktiven und fundierten Erinnerung an ihre eigene, oft ambivalente Rolle in der Geschichte der deutschen Wohlfahrtspflege. Das vorgestellte Buch ist allen, die sich dazu gründlich und authentisch informieren wollen, unbedingt zu empfehlen.

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