Beratungsstellen

Beratung als diakonisches Handlungsfeld

Die klassische Innere Mission des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Vereins- und Rettungshausbewegung, betrieb dann aber – stark vereinfacht gesagt – vor allem Anstaltsdiakonie, also geschlossene Fürsorge in totalen Institutionen. Langfristig hat sich demgegenüber der Trend „ambulant vor stationär“ durchgesetzt. Mit den Verben „helfen und begleiten, pflegen und heilen, beraten und trösten“ beschrieb die Diakonie ihre Arbeitsweise im Jahr ihres 150-jährigen Jubiläums 1998. Hieraus wird schon der hohe Stellenwert von Beratung im Vergleich etwa zur früheren Fürsorge deutlich. Der Paradigmenwechsel in der Geschichte des Helfens, der von der Bewahrung über die Betreuung zur Beratung führte, resultiert aus einem diakoniehistorischen Lernprozess, bei dem Impulse aus Sozialtheorie und Seelsorge, Sozialgesetzgebung und Sozialstaatsentwicklung aufgenommen und in diakonisches Hilfehandeln umgesetzt wurden. Hilfesuchende als freiwillig Rat Suchende werden nicht mehr als Objekte von Betreuung und Fürsorge angesehen, sondern als Träger subjektiver sozialer Menschenrechte, denen die Diakonie „anwaltschaftlich“ vor allem durch ihre Beratungsdienste hilft, trotz Belastungen, Beeinträchtigungen oder Behinderungen ein menschenwürdiges Leben in möglichst weitgehender Selbstbestimmung zu führen.

Auch wenn hiermit eine dominante Entwicklungsrichtung skizziert wird, heißt das nicht, dass Beratung rein statistisch das Hauptbetätigungsfeld diakonischer Hilfe ausmachen würde: 1998 arbeiteten 11 Prozent der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie in Beratungsstellen. Beratung in der Diakonie ist andererseits mittlerweile eine nahezu ubiquitäre Angelegenheit, denn auch Ärzte in evangelischen Krankenhäusern beraten heutzutage ihre Patienten, anstatt ihnen einfach nur Vorschriften zu machen. In dem weiten Feld Beratung in der Diakonie lassen sich offene Sozialarbeit und Ehe-, Familien- und Lebensberatung als zwei Hauptentwicklungsbereiche unterscheiden. In die „Beratungskommunikation“ der Beratungsdienste fließen Elemente einer Vielzahl unterschiedlichster Konzeptionen ein: im weitesten Sinne psychotherapeutische Verfahren, klassische Methoden der Sozialarbeit, theologisch orientierte bzw. klinische Seelsorge, Rechtsdurchsetzung usw. Heute herrschen hier gegenseitige Anerkennung und Pluralität der Ansätze und Angebote. Das war freilich nicht immer so; insbesondere mit psychologischen und psychoanalytischen Therapien hatten Theologie und Kirche ihre Schwierigkeiten. Außer Einzelberatung gibt es Paar-, Familien- oder Gruppenberatung. Zum weiteren Spektrum könnte man noch die neu entwickelten Methoden der Prozess- und Organisationsberatung zählen. Ein Trend zu immer größerer Spezialisierung durchzieht die Geschichte der modernen Beratungsarbeit. Inzwischen wird aber auch wieder zur Kenntnis genommen, dass eine allzu kleinteilige Beratung der komplexen Lebenslage der Klientel oft nicht gerecht wird, wenn etwa eine Ratsuchende drogensüchtig ist, ein Überschuldungsproblem hat und zugleich mit der Kindererziehung überfordert ist. Diakonische Beratung findet nicht im luftleeren Raum statt, sie ist heute gesetzlich normiert, zum Beispiel im Kinder- und Jugendhilfegesetz und in anderen Teilen des Sozialgesetzbuches. Verschiedene Berufsgruppen arbeiten in den Beratungsdiensten der Diakonie: Ärzte und Theologen, Psychologen, Diplom- oder Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, sowie gelegentlich, zum Beispiel im Suchtbereich, auch ehemals Betroffene, die sich entsprechend qualifiziert haben.

Die systematische und historische Erforschung der Geschichte von Beratung im Kontext einer diakonischen Geschichte des Helfens steckt noch in den Anfängen. Die Quellenlage ist disparat, und die Geschichte geschlossener Häuser lässt sich leichter rekonstruieren als die Geschichte offener Angebote. Aus der für Beratung unabdingbaren Geheimhaltungs- und Schweigepflicht resultiert gelegentlich eine Tendenz zur Geschichtsscheu.

Ehe-, Familien- und Lebensberatung

Während die offene Sozialarbeit der Diakonie als offene Fürsorge in den evangelischen Wohlfahrtsdiensten der Weimarer Zeit ihren Anfang nahm, hat Eheberatung unter der Ägide der Evangelischen Kirche zwar erste, wenig erforschte Wurzeln ebenfalls in dieser Zeit, ihren eigentlichen Auf- und Ausbau erlebte die Evangelische Ehe-, Familien- und Lebensberatung aber erst in den 1950er und 1960er Jahren. In jener Zeit wurden Kurse für Verlobte abgehalten, regelrechte „Eheschulen“ eingerichtet und schließlich professionelle Beratungsdienste aufgebaut. Für die Ehepaarkurse wurden gelegentlich prominente Gastredner verpflichtet, etwa der bekannteste Theologe der Nachkriegszeit, der Fernsehpfarrer Adolf Sommerauer; ansonsten referierten Ärzte und Hebammen, Rechtsanwälte und Pfarrer über Themen wie Grundlagen und Probleme des Eherechts, Empfängnisregelung und Geschlechtserziehung, Ehestörungen oder das Eheverständnis nach dem Alten und Neuen Testament.

In einem Grundsatzpapier der Konferenz für evangelische Familien- und Lebensberatung etwa aus den Jahren 1960/61 heißt es: „Eheberatung ist ein helfender Dienst an den Ehen unserer Gesellschaft. Sie steht unter der Verantwortung für die Ehe als einer vorgegebenen Seinsordnung, und sie ist getragen von der Achtung vor der personalen Würde des Menschen. Eheberatung befasst sich mit den Aufgaben der Geschlechtererziehung der Jugend, der Vorbereitung auf Ehe und Familie, mit den Problemen der Partnerwahl, der Eheführung, der Ehekrisen, der Ehelosigkeit und der Partnerschaft der Geschlechter in der Gesellschaft. Eheberatung vollzieht sich in klärenden Gesprächen mit einzelnen, Paaren und Gruppen. Es geht in diesen Gesprächen darum, Verständnis für Wesen und Aufgabe der Ehe sowie Einsicht in die eigene wie in die Situation des Partners zu vermitteln und Möglichkeiten für notwendige Entscheidungen und Verhaltenskorrekturen freizulegen. Eheberatung ist sowohl ein diakonisch-seelsorgerlicher als auch ein sozialer Dienst am einzelnen und an der politischen Gemeinschaft.“ Als Träger evangelischer Beratungsstellen kamen Kirchenkreise, Synoden, Dekanate, Gemeindeverbände, Gemeindedienste für Innere Mission, aber auch Verbände der Jugend-, Männer- oder Frauenarbeit oder eigens gegründete Arbeitsgemeinschaften in Frage. Schulungen, Kurse, Vortragsabende und Seminarreihen bildeten oft den Anfang; hieraus wuchsen dann festere institutionelle Formen. Ehren- und nebenamtliche Beratung, wahrgenommen zum Beispiel von Ärztinnen, die mit leitenden Medizinern diakonischer Anstalten verheiratet waren, ging im Laufe der Jahre zurück zugunsten hauptberuflich ausgeübter Beratungstätigkeit. Der durchaus eigengeprägte Typus Pfarrer mit therapeutischer Zusatzausbildung betrat die Bühne, und „Seelsorge“ wurde zu einem zentralen Thema theologisch-diakonischer Debatten und theologischer Ausbildung. Aus einer Bilanz über den Aufbau der evangelischen Familien- und Lebensberatung in Westfalen aus dem Jahr 1967 geht hervor, dass Diplom-Psychologen (hauptamtlich) und Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie (meist nebenamtlich) neben Pfarrern, Sozialpädagoginnen und anderen Berufsgruppen in der Eheberatung engagiert waren. Neben gut ausgebauten Beratungsstellen mit bis zu acht Kräften (von der Leitung bis zur Büromitarbeiterin) existierten nach wie vor wenig institutionalisierte Dienste.

Interessanterweise erfolgte der Aufbau evangelischer Eheberatung in der DDR nahezu parallel zur bundesdeutschen Entwicklung. In Sachsen wurden allerdings schon ab 1949 Beratungsstellen eingerichtet; die Abschaffung des § 218 durch die Sowjetische Militäradministration und die Problematik der so genannten Heimkehrerehen verlangten kirchliche Beratung und praktische Hilfe. Das Fazit einer Zeitzeugin aus Leipzig, "wir wurden zwar anfangs zu Hause verdächtigt, den Glauben gegen die Psychologie eingetauscht zu haben, es hat sich aber ergeben, dass auch besonders fromme Kreise der Kirche die Arbeit später mitgetragen haben", dürften auch die Beraterinnen und Berater der ersten Stunde im Westen nachvollziehen können.

1998 waren 434 psychologische Beratungsstellen in den Kirchen der EKD tätig, die Erziehungs-, Ehe-, Lebens- und Schwangerschaftskonfliktberatung anbieten. Dabei kann man von rund 350.000 Beratungsfällen pro Jahr ausgehen. Konstatiert wird eine rapide steigende Nachfrage vor allem bei der Trennungs- und Scheidungsberatung. Die Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung e. V., Fachverband für Psychologische Beratung und Supervision, 1959 gegründet, wirkt als Fachverband im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland mit. Aus der Eheberatung ist "Ambivalenzberatung" geworden, also eine Beratung, die vermehrt in den Krisensituationen von Trennung und Scheidung Hilfe anbietet; und das Ziel der evangelischen Beratung, "dass Jesus Christus selbst in den Mittelpunkt unseres Lebens kommt", würde heute vermutlich anders formuliert. Was für Leser der Gegenwart an den frühen Konzeptionen evangelischer Ehe- und Lebensberatung aus der Perspektive der aufgeklärt-liberalistischen Post-'68er-Gesellschaft altbacken und reichlich überholt wirkt, muss im Sinne historischer Gerechtigkeit durchaus anders eingeschätzt werden: Die (konfliktreiche) Öffnung von Diakonie, Kirche und Theologie gegenüber der bis dahin als degoutant abqualifizierten Psychoanalyse, allgemeiner gesagt, die Öffnung hin zu psychologischen Beratungsverfahren, hatte regelrecht befreiende Wirkungen. Das theologische Deutungs- und Hilfemonopol wurde pluralisiert und das Hilfeangebot multiprofessionell umstrukturiert. Bei der evangelischen Eheberatung in ihrer Aufbauphase bilden eine eher restaurative Familienideologie auf der einen und eher fortschrittliche Leitbilder von Mündigkeit und Partnerschaft auf der anderen Seite ein spannungsreiches Mischungsverhältnis, das aufschlussreiche Einblicke in die Mentalität der deutschen Gesellschaft insgesamt ermöglicht. Noch zu erforschen bleibt, wie sich das Profil der allerersten, vereinzelt in der Weimarer Republik gegründeten evangelischen Eheberatungsstellen vor dem Hintergrund von Lebensreformbestrebungen, Sittlichkeitsbewegung, früher Sexualpädagogik und Eugenikdebatten entwickelt hat.

Beratungsstellen für Schwangerschaftskonflikte

Die ersten Beratungsstellen für Schwangerschaftskonflikte der Diakonie entstanden 1974 als Modellberatungsstellen im Zusammenhang mit der von der sozialliberalen Koalition geplanten Novellierung des § 218 StGB. Nach langen kontroversen Debatten in Gesellschaft und Kirchen trat diese Reform schließlich 1976 in Kraft. Unter der Überschrift "Ungewolltes Leben annehmen" entwickelte der Diakonische Rat schon im Vorfeld eine "Angebotskette" von Diensten, die Hilfen in Konflikt- und Notsituationen ungewollter Schwangerschaft bereithielten. Ab 1976 wurden dann Richtlinien für die kirchliche Anerkennung von Beratungsstellen konzipiert und immer mehr Beratungsstellen anerkannt. In einer Handreichung aus dem Jahr 1980 zu Erfahrungen mit dem reformierten § 218 heißt es zu den Grundproblemen von § 218-Beratung und zum Selbstverständnis evangelischer Beratung: "Beratung soll die Fortsetzung einer Schwangerschaft erleichtern. Beratung ist Pflicht kraft Gesetzes. Dies versetzt viele Berater in eine Situation, die ihrem Selbstverständnis grundsätzlich widerspricht. Beratung geht davon aus, ein Vertrauensverhältnis zum Ratsuchenden aufzubauen. Beratung ist ein Prozess zwischen Ratsuchendem und Berater. Diese wesentlichen Voraussetzungen entfallen zumeist bei der Schwangerschaftskonfliktberatung. Der zu Beratende ist in der Regel kein - aus eigenem Willen - Ratsuchender. Er ist gezwungen, zur Beratungsstelle zu gehen, er ist angewiesen auf den 'Schein' des Beraters. (...) Das kirchliche Angebot der Schwangerschaftskonfliktberatung gründet im Auftrag der Kirche, dem Leben zu dienen. Das Ziel der Erhaltung werdenden Lebens muss auch die Frage nach Erhaltung der leiblichen und seelischen Entfaltungsmöglichkeiten für Mutter und Kind einbeziehen. Der Schutz des Lebens im weitesten Sinne führt zu der Erkenntnis, dass auch die prinzipielle Verweigerung eines Schwangerschaftsabbruchs in Einzelfällen schuldig machen kann. Eine 'Strategie der reinen Hände' kann es in diesem schwierigen ethischen Problemfeld nicht geben. Die durch das Gesetz vorgeschriebene soziale Beratung verstehen wir vornehmlich als psychosoziale Beratung im fachlichen Sinne unter Anwendung moderner Methoden der Gesprächsführung." Etwa 30 Jahre nach der grundlegenden Reform finden die Debatten um das inzwischen mehrfach geänderte Gesetz nach wie vor große Resonanz in der Öffentlichkeit, zuletzt vor allem durch den (Teil-)Ausstieg der Katholischen Kirche aus dem Beratungswesen. Der konkrete Beratungsbedarf weist nach wie vor steigende Tendenz auf, die Finanzierung des Angebots wird allerdings zunehmend schwieriger.

Schuldnerberatung

Die Schuldnerberatung der Diakonie steht in einer noch jüngeren Tradition. Noch 1986 wurde Schuldnerberatung als "Lücke im Bereich sozialer Beratung und Unterstützung" in der Diakonie gekennzeichnet. 1977 wurde in Ludwigshafen die erste so bezeichnete "Schuldnerberatungsstelle" in kommunaler Trägerschaft eröffnet, zu Beginn der 1980er Jahre kam es zu ersten Gründungen in der Diakonie. Zeitgleich gelang es, im politischen Raum zunehmend Aufmerksamkeit für dieses neue Feld sozialer Arbeit zu erzielen. Das Selbstverständnis von Schuldnerberatung - von freien oder öffentlichen Trägern ausgeübt - lässt sich bis heute folgendermaßen formulieren: "Schuldnerberatung versteht sich als Hilfsangebot für hochverschuldete Familien und Einzelpersonen mit dem Ziel, die verschiedenartigen - gerade sozialen - Folgeprobleme von Überschuldung zu beseitigen oder zu minimieren. Schuldnerberatung in der sozialen Arbeit ist damit Teil umfassender Lebensberatung, wie ebenso Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten und damit persönliche Hilfe." (Münder / Höfker 1990, S. 135) Die diakonische Schuldnerberatung hat in jahrelanger Vorarbeit mit dazu beigetragen, dass im Zuge der Neuordnung des Insolvenzverfahrens das Verbraucherkonkursverfahren einführt wurde. Dieses Verfahren ist zum 01.01.1999 in Kraft getreten und soll Ver- und Überschuldeten die Möglichkeit eröffnen, nach Einhaltung bestimmter Auflagen und Verpflichtungen von Restschulden befreit zu werden. Etliche Jahre nach ihrer Institutionalisierung ist die kirchlich-diakonische Schuldnerberatung ein finanziell ungesichertes Handlungsfeld, das aber stark nachgefragt wird und lange Wartezeiten für umfassende Beratung hat.

Ausblick

Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände haben das Beratungswesen in Deutschland maßgeblich mit aufgebaut, und noch heute dominieren die freien Träger in diesem Handlungsfeld, manchmal mit geradezu monopolartiger Stellung. Eine sozialhistorische und sozialwissenschaftliche Beratungsforschung, die über die Darstellung von Methoden und die Selbstdarstellung einzelner Verbände hinausgeht, besteht erst in Ansätzen. An den Rändern der Gesellschaft, vor allem im Psychiatriebereich und in der Wohnungslosenhilfe, ist es -  fachlich begründet, aber auch durch den Kostendruck befördert - zu einem "Ende der Veranstaltung" (Klaus Dörner 1998), zur Entlassung aus der "Schutzhaft der Nächstenliebe" gekommen. Aus dieser De-Institutionalisierung (und anderen Faktoren) erwuchs die Konjunktur der Beratung. Die ambulante Beratungsstelle für Wohnungslose hat, um prototypisch ein Beispiel zu nennen, die Arbeiterkolonie ersetzt. Sieht man von der Sozialberatung im engeren Sinne ab, scheint es so, als ob die Inanspruchnahme von Beratung vor allem eine Angelegenheit der Mittelschicht sei. (Beraterinnen und Berater bestreiten dies allerdings. Empirische Forschungen fehlen weitgehend.) Auch in einer weiteren Hinsicht wird deutlich, dass Beratung kein Allheilmittel der Hilfe sein kann: Nur ein "mittleres Maß" an Problemen lässt sich mittels Beratung lösen. "Beratung stößt somit sowohl dort an Grenzen, wo etwa durch Prozesse der Verarmung und der strukturellen Massenarbeitslosigkeit Lebenssituationen hervorgebracht werden, deren Veränderung sich der Reichweite des individuellen Handelns entzieht, als auch dann, wenn sich Problemlagen zu nicht mehr bewusstseinsfähigen und dauerhaften Symptomatiken verfestigt haben." (Dewe unter andrem 1993, Seite 101) In der Freiwilligkeit hat Beratung ihr demokratisch-partizipatorisches Grundprinzip, aber auch ihre Grenze. Wer nicht (zur Beratung) kommt, kommt auch nicht in den Genuss von Hilfe. Während in klassischer Sichtweise das Leitbild von Beratung der Seelsorge entstammt, lehnt man sich heute in vielem an das Vorbild der Verbraucherberatung an; das Bild des Klienten nähert sich dem des Konsumenten.

Experten prognostizieren einen steigenden Beratungsbedarf im Zeitalter der „Individualisierung“ sozialer Probleme und der Überforderung durch gesellschaftliche Modernisierung und Beschleunigung. Ob das „niedrigschwellige Angebot“ Beratung als „Inklusionsvermittlung“ angesichts der von manchen Beobachtern diagnostizierten Entwicklung zur repressiven Sozialarbeit noch ausbaufähig ist, wird sich erweisen. Mit Netzwerkorientierung, Multiprofessionalität, Feminisierung und Lebensweltbezug sind neuentwickelte Strategien von Beratung in der Diakonie benannt, die in die Praxis umgesetzt werden sollen. Die diakonischen Verbände und Fachverbände fordern den bedarfsgerechten und flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen und den Erhalt der Vorrangstellung der freien Träger nach dem Subsidiaritätsprinzip. Im Gefolge der kirchlichen Finanzkrise sind inzwischen die ersten Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensberatung geschlossen worden.

Literatur:

Bernd Dewe (unter anderem): Professionelles soziales Handeln. Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis, Weinheim / München 1993.

Stefanie Duttweiler: „Beratung“, in: Glossar der Gegenwart, hg. v. Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Frankfurt/Main 2004, 23-29.

Jahrbücher des Diakonischen Werkes der EKD, Stuttgart (fortlaufend).

Johannes Münder / Guntram Höfker: Schuldnerberatung und soziale Arbeit, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 21. Jg. 1990, 134-153.

Autor: Reinhard van Spankeren

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