Brot für die Welt
Das Motto der diesjährigen Aktion weist auf das Vertrauen der Christinnen und Christen auf die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes hin, der alle Menschen satt machen kann. „Es ist genug für alle da“ ist ein Satz des Glaubens an Gottes Zusage, allen ihr tägliches Brot zu gewähren. Jesus speist die Fünftausend, indem er Fisch und Brot segnet und die Menschen teilen lässt (Matthäus 14,13-21). Alle werden an diesem Abend satt. Glaube, Liebe und Gerechtigkeitssinn machten es möglich, der Skepsis der Jünger Jesu zum Trotz. Dieses Vertrauen ist auch die Grundlage und Motivation für die Arbeit von „Brot für die Welt“, sich für die Hungernden und Benachteiligten dieser Welt zu engagieren.
„Es ist genug für alle da“ ist aber auch ein Satz der Vernunft. Es gibt genug Nahrung für alle Menschen. Die Bauern und Landarbeiter, die überall in dieser Welt ihre Felder bestellen, könnten die rasant gewachsene Menschheit ernähren. Die Weltgesundheitsorganisation hat sogar errechnet, dass die derzeit produzierten Nahrungsmittel für 12 Milliarden Menschen reichen – vorausgesetzt, alle Menschen erhalten gerechten Zugang dazu. Der Hunger in der Welt ist demnach eine Folge von Ungerechtigkeit, schlechter Verteilung und brutalem Gewinnstreben.
„Es ist genug für alle da“ gilt aber nur dann, wenn das Menschenrecht auf Nahrung weltweit geachtet und verteidigt wird, wenn Menschen an den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten teilhaben können und wenn die natürlichen Lebensgrundlagen vor Zerstörung geschützt werden. Dafür setzt „Brot für die Welt“ sich ein.
Schwerpunkt im 50. Jahr: Ernährung im Klimawandel
Ein besonderer Schwerpunkt in der 50. Aktion von „Brot für die Welt“ ist das Thema „Ernährung im Klimawandel“. Die Folgen des Klimawandels sind vor allem in den Ländern des Südens schon deutlich zu spüren. Ganze Landstriche vertrocknen, andere werden immer häufiger überschwemmt und so für die Landwirtschaft unbrauchbar. Der Klimawandel ist eine große Gefahr für die Ernährung der gesamten Menschheit. Noch ist es möglich, die Folgen des Klimawandels zu beherrschen, damit auch zukünftige Generationen in allen Regionen der Erde menschenwürdige Lebensbedingungen vorfinden. Es ist genug für alle da, wenn wir jetzt handeln.
Am 1. Advent 1959 riefen die evangelischen Landes- und Freikirchen zum ersten Mal unter dem Motto „Brot für die Welt“ zu Spenden für Arme und Bedürftige in den Ländern des Südens auf. Anlass für die erste Spendenaktion war eine aktuelle Hungersnot in Indien, von der etwa 12 Millionen Menschen betroffen waren. Des weiteren setzte sich in den Kirchen auch der Gedanke durch, dass es nach Jahren der großzügigen Hilfe aus dem Ausland für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg an der Zeit sei, etwas von dieser Großzügigkeit zurückzugeben. In einer Phase der zunehmenden Dekolonisierung, in der das Ausmaß der Armut in den Ländern des Südens immer deutlicher wurde, hatten die Menschen das Bedürfnis, nun selbst zu helfen.
Berühmte Hungerhand
Bei der ersten Aktion von „Brot für die Welt“ kamen Sammelbüchsen zum Einsatz, auf denen die bis heute bekannte so genannte „Hungerhand“ des Berliner Künstlers Rudi Wagner zu sehen war, zusammen mit der Zeile „Wenn Du wieder satt geworden bist, gib 5 Pfennig für die Hungernden“. Der heute seltsam fremd anmutende Satz traf das damalige Lebensgefühl der Deutschen, denen trotz des Erhardschen Wirtschaftswunders die eigene Hungerzeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch lebhaft in Erinnerung war. 190.000 Exemplare der Broschüre „Brot für die Welt“ wurden in der Bundesrepublik und in der DDR verteilt, Faltblätter in Millionenauflage gedruckt und ausgelegt.
Am Ende der Aktion hatten evangelische Christinnen und Christen die für damalige Verhältnisse beeindruckende Summe von über 19 Millionen Mark aufgebracht, davon stammten fast 4,8 Millionen Mark aus der DDR. Zu keiner Zeit hatte eine kirchliche Opfersammlung ein besseres Ergebnis erzielt.
In den ersten Jahren bestimmte unmittelbare Nothilfe die Arbeit von „Brot für die Welt“. Von Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit war nur ansatzweise die Rede. Not sollte vorrangig dort gelindert werden, wo sie auftrat. Im ersten Aktionsjahr, 1959/1960, wurden 13 Projektanträge aus über zehn Ländern in drei Kontinenten zur Bewilligung vorgeschlagen. Der Schwerpunkt der Arbeit lag in Indien, wo drei Projekte zur Kinderspeisung und zur landwirtschaftlichen Entwicklung gefördert wurden. Weitere Projektländer waren Hongkong, Kamerun, Ägypten, Jordanien und Indonesien. Auch nach Europa flossen Gelder: In Griechenland zum Beispiel wurde der Bau einer Mütter- und Kinderklinik finanziert.
Die Spendenaktion wurde schnell zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht und unter dem Dach des Diakonischen Werkes der EKD angesiedelt. Durch die regelmäßig eingehenden Spenden konnte „Brot für die Welt“ seine Programme kontinuierlich erweitern. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Hilfsaktion so zu einem wichtigen Zweig der diakonischen Arbeit. Bis zum Jahr 2007 gingen mehr als 1,8 Milliarden Euro an Spenden ein. Über 20.000 Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa wurden seit 1959 bewilligt. Derzeit arbeiten von 141 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Ökumenischen Diakonie 106 für die Aktion „Brot für die Welt".
Bewußtsein für Lebensbedigungen
Die Kampagnen von „Brot für die Welt“ förderten in der breiten deutschen Bevölkerung ein Bewusstsein für die Rahmenbedingungen, unter denen Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika um ihr Überleben kämpfen. Dabei mussten sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Brot für die Welt“ einem kontinuierlichen Lernprozess unterwerfen.
Nicht immer konnten sich neu gewonnene Einsichten problemlos in der Öffentlichkeit durchsetzen. Als „Brot für die Welt“ 1977 erklärte: „Die Folgen unserer Art zu leben sind offenes Elend in der ,Dritten Welt’ und soziale Probleme in unserer Gesellschaft“, reizte diese Schlussfolgerung noch zum Widerspruch.
Aufgrund der immer stärkeren weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung spielt Lobby- und Advocacyarbeit für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seit der Jahrtausendwende eine immer größere Rolle, nicht nur bei „Brot für die Welt“, sondern auch bei seinen Partnern in den Ländern des Südens. Hintergrund dieser auf die Rechte der Armen ausgerichteten Arbeit ist die Einsicht, dass Hunger und Armut langfristig nur durch gerechte Strukturen und Verhältnisse weltweit zu erreichen sind.
Hilfe zur Selbsthilfe
Deutlich verändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Art der Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens. In den ersten Jahren wurde im Regelfall das Engagement deutscher Missionsgesellschaften unterstützt, die bereits in Afrika, Asien und Lateinamerika tätig waren. Im Laufe der Jahre baute „Brot für die Welt“ ein dicht verzweigtes Partnernetz aus Kirchen, kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen auf, die fortan die Projekte vor Ort umsetzten. Arbeitsmethoden und Konzepte von „Brot für die Welt“ wurden den sich langsam verändernden Realitäten und sich wandelnden Strukturen angepasst. Zeichen dafür ist der Begriff der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, der die vom Westen diktierten Vorgaben in der Entwicklungsarbeit zu ersetzen begann. „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurde das Schlagwort, das fortan die Entwicklungszusammenarbeit prägte.
Die Mitverantwortung der Organisationen vor Ort erhielt ein deutlich größeres Gewicht. Die Projektpartner in den Entwicklungsländern begannen zunehmend, ihre Art, mit den Menschen vor Ort zu arbeiten, selbst zu definieren und zu bestimmen und thematische Schwerpunkte zu setzen. Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung Lernprozesse auf beiden Seiten voraussetzt.
Autor: Rainer Lang