Eugen Gerstenmaier

Geboren am 25. August 1906 in Kirchheim/Teck , gestorben am 13. März 1986

Erster Leiter des Evangelischen Hilfswerks

Eugen Gerstenmaier stammte aus einer württembergischen Handwerker- und Kaufmannsfamilie. Nach kaufmännischer Lehre machte er 1931 das Abitur nach und begann ein Theologiestudium in Tübingen und Rostock. Beeinflusst wurde er in Rostock vor allem durch den Religionsphilosophen und Systematiker Friedrich Brunstädt – ein konservativer Lutheraner und Nationalprotestant, der im Nebenamt die Evangelisch-Soziale Schule im Spandauer Johannesstift leitete.

Parallel zu seiner akademischen Karriere - Promotion 1935, Habilitation 1938 - tritt Gerstenmaier 1936 in den Dienst des Kirchlichen Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche, wo er nach Kriegsbeginn zum Konsistorialrat aufsteigt. Dort knüpft er enge ökumenische Kontakte, die beim Aufbau des Evangelischen Hilfswerks wertvoll werden. Zugleich stellt die Tätigkeit für das Außenamt wegen der Nähe der Reichskirche zu den Deutschen Christen einen Makel in den Augen der Bekennenden Kirche dar. Dies gilt vor allem, weil die Politik des Außenamtes den Interessen der auswärtigen Politik des „Dritten Reiches“ verpflichtet war.

Persönlich stand Gerstenmaier allerdings als Mitglied des Kreisauer Kreises in grundsätzlicher Opposition zum NS-Regime. Seine Ablehnung der Nazi-Herrschaft zeigte sich auch in seiner Beteiligung an der Verschwörung des 20. Juli 1944, für die er vom Volksgerichtshof mit sieben Jahren Zuchthaus bestraft wurde.

Mit seinen ökumenischen Partnern in Genf und dem württembergischen Bischof Theophil Wurm plante Gerstenmaier schon seit 1942 ein groß angelegtes Kirchliches Hilfswerk. Seine Ziele waren die Bekämpfung von Not und politisch-gesellschaftlichem Chaos für die Zeit nach dem Krieg und dem Ende des NS-Staates. Diese Pläne nimmt er sofort nach seiner Befreiung aus dem Zuchthaus im April 1945 wieder auf. Am 30. August 1945 wird zum Leiter des Hilfswerkes der EKD bestellt. Zwar ist er auch als Leiter des Kirchlichen Außenamtes im Gespräch, diese Position übernimmt dann aber Martin Niemöller.

Der Aufbau des Evangelischen Hilfswerkes stellt eine großartige organisatorische, kirchen- und sozialpolitische Leistung dar. Die neu entstandene Einrichtung verteilt vor allem in den Jahren bis zur doppelten Staatsgründung 1949 enorme Mengen an Hilfslieferungen, hilft Flüchtlingen und Heimkehrern und gelangt so zu großem gesellschaftlichen Einfluss. Für Gerstenmaier ist das sozialpolitische Handeln ein wesentlicher Bestandteil der Diakonie.

Gerstenmaier lehnt es ab, auf die Hilfeempfänger volksmissionarisch einzuwirken. Er stellt sich selbst damit in einen Gegensatz zur Inneren Mission, deren Strukturen er kritisiert. Dabei verfolgt Gerstenmaier einen streng zentralistischen Ansatz. Auch sonst wird deutlich, dass er die Beibehaltung einer reichskirchlichen Verfassung gegenüber der Vielfalt selbständiger Landeskirchen in der EKD bevorzugt hätte. In der Diskussion um die rechtliche Grundlegung des Hilfswerks fordert Gerstenmaier seit 1947 die Schaffung eines Diakonischen Amtes der EKD: Die Kirche dürfe ihre diakonische Arbeit nicht länger an Institutionen delegieren, die nur lockere Verbindungen zur verfassten Kirche hätten.

Als klar wird, dass die Eingliederung der freien Werke in dieses Diakonische Amt die Selbständigkeit der Inneren Mission in Frage stellt, stößt der machtbewusste Hilfswerks-Leiter zunehmend auf innerkirchlichen Widerstand. Gerstenmaier kann in der Folge seine Pläne nicht durchsetzen. Nicht zuletzt deshalb geht er in die Politik und wird 1949 für die CDU in den Bundestag gewählt. Dort agiert er aber nicht als Sozialpolitiker, sondern widmet sich der Außen- und Sicherheitspolitik. Für verschiedene Regierungsämter ist er im Gespräch – manche sehen in Gerstenmaier den möglichen Nachfolger Adenauers im Kanzleramt.

Nach dem plötzlichen Tod von Hermann Ehlers, dem führenden Vertreter des Protestantismus in der CDU, wird er 1954 dessen Nachfolger als Bundestagspräsident. In diesem Amt, das er bis kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 1969 inne hat, prägt er das Erscheinungsbild des Bonner Parlamentarismus im In- und Ausland. Die Entwicklung von Kirche und Diakonie, die dauerhaft mit seinem Namen verbunden ist, verfolgt Eugen Gerstenmaier bis zu seinem Tod am 13. März 1986 aus der kritischen Distanz des politischen Beobachters.

Autor: Michael Häusler

Literatur

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