Die Finanzierung der Diakonie
Die Erfolgsmodelle der neuzeitlichen Diakonie sind der Kindergarten und die evangelische (Gemeinde-)Krankenpflege. Die ersten Trägerinnen dieser Konzepte, die Diakonissen, finanzierten sich nach Maßgaben eines Sorgeverbandsmodells. Mutterhäuser, in denen die Diakonissen lebten, waren Gründungen von adligen und bürgerlichen Personen, die durch eine Stiftung oder im Verein eine Vermögensmasse aufbrachten. Das Mutterhaus, das heißt die Stiftung übernahm „die Sorge für die täglichen Bedürfnisse der Diakonisse, um sie frei zu machen für den Dienst der Nächstenliebe“ – das vor-industriegesellschaftliche Modell des Sorgeverbandes. Daneben gab es vereinzelt genossenschaftsähnliche Mutterhausgründungen. In beiden Formen verstanden sich Diakonissen folgerichtig als nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Mutterhaus stehend – auch nicht zu anderen Trägern, ,Außenstellen‘, ,Ablegern‘, ,Einsatzstellen‘ oder ähnliches Doch durch immer mehr von diesen – ermöglicht durch lokale Schenkungen, Stiftungen, Sammlungen – verschob sich das wirtschaftliche Schwergewicht vom Mutterhaus auf diese Ableger. Die Veränderung bestand darin, dass sich die Mutterhauswirtschaft und Versorgung der Diakonissen von den Vermögenserträgen des Mutterhauses zu den eigenen ,Arbeitserträgen‘ der Diakonissen hin verlagerten.
Diakonissen erhielten meist lediglich Unterkunft, Verpflegung, ein kleines Taschengeld, ansonsten ging eine Gestellungsgebühr an das Mutterhaus. Als dann aus den Erträgen der Gestellungsverträge mit Anstalten oder Gemeinden Beiträge zur Sozialversicherung und ähnliches abgeführt wurden, schrumpften die Einnahmen des Mutterhauses, und somit auch die Vermögensmasse, die wirtschaftliche Grundlage des Sorgeverbandes. Im Schicksal dieses großfamiliären Sorgeverbandsmodells spiegeln sich allgemeine Entwicklungen. In der Industriegesellschaft sind für die meisten Menschen Einkünfte aus abhängigen Arbeitsverhältnissen existenzerhaltend, nicht mehr Erträge aus Vermögen und Eigentum. Das sozialpolitisch fortschrittliche Kassenwesen tangierte die Mutterhausdiakonie mehrfach: durch die oben genannte Umschichtung der Diakonissenabgaben vom Mutterhaus auf die Kassen und durch die Nötigung, den Einsatz der Diakonissen nach kassenüblichen Kategorien zu klassifizieren (um zum Beipsiel die Einpassung in das System der Pflegesätze zu bewerkstelligen). Oft jahrzehntelang versuchten Mutterhäuser durch die Errichtung eigener Altersversorgungskassen oder durch die Modernisierung der Gestellungsverträge ihr Modell grundsätzlich, wenn auch modifiziert, zu erhalten.
Bis 1914 wurden diakonische Aufgaben überwiegend durch Vereine und Spenden finanziert. Die Innere Mission war im Grunde Vereinsdiakonie. Bis in die Gegenwart ist der eingetragene Verein die dominierende Rechtsform im diakonischen Bereich; noch 1970 waren 73 % aller diakonischen Einrichtungen e.V.
Eine Sonderform des Vereins ist die Genossenschaft, die im 19. Jahrhundert in mannigfachen Gestalten entstand. Genossenschaften sind im Grunde kleinkapitalistische Hilfsgemeinschaften gegen den übermächtigen Großkapitalismus. Die Raiffeisensche Variante des Darlehenskassenvereins führte Kreditgeber und -nehmer einer Gemeinde beziehungsweise Kirchengemeinde unter Einbindung des Pfarrers zusammen, erlegte allen Solidarhaftung auf und ließ die Kapitalgewinne unangetastet – solange, bis eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit eines Vereins möglich war. So entstanden auch diakonische Initiativen, ohne dass dafür auf dem öffentlichen Kapitalmarkt Investitionskredite und andere aufgenommen werden mussten. Während Raiffeisens ursprüngliches Modell heute kaum noch Diakonieberührung hat, sind die im Zusammenhang mit der Genossenschaftsidee entstandenen Hilfsgemeinschaften und ,Hilfsverbände der gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen‘ noch existent.
Kirchliche Zuwendungen bestanden bis 1914 meist aus Kollekten und gemeindlichen Sammlungen, seit 1900 mehrten sich geregelte kirchliche Finanzhilfen. Die meisten Einrichtungen der Inneren Mission hatten ohnehin versucht, ihre Unabhängigkeit gegenüber Staat und Kirche zu behaupten und bis zum Einsetzen der Sozialgesetzgebung (1883 Krankenversicherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliditäts- und Altersversicherung) war ungeklärt, ob jeder für sich selbst vorsorgen sollte oder ob der Staat dafür sorgen sollte, dass jeder versorgt ist, ob ein Staats- oder ein Selbsthilfesystem die Lösung der sozialen Frage bringen sollte. In dieser Schwebelage gab es in vielen Heimen, speziell solchen aus dem Bereich der Erziehungshilfe, landwirtschaftliche und handwerkliche Betriebe, die einerseits ein wichtiges Element der wirtschaftlichen Sicherung der Einrichtung waren, andererseits den Bewohnern Lern- und Arbeitsmöglichkeiten boten. Seit den 1860er Jahren deckten Pflegegelder und öffentliche Zuschüsse ein Drittel bis drei Viertel der Gesamtkosten ab. Auf jeden Fall war die wirtschaftliche Grundierung der Heime für ,schwererziehbare Jugendliche‘ u.ä. besser als die der Altenheime und der Behinderteneinrichtungen (in der Regel wurden erst nach der Jahrhundertwende die Kreisgemeinden durch Ländergesetze verpflichtet, circa drei Viertel des Aufwandes für behinderte Menschen zu tragen). Diakonischen Ausbildungsstätten, Brüderhäusern u.ä. waren aus diesem Grund nicht selten Erziehungsheime angegliedert.
Die Krankenanstalten befanden sich seit dem Erlass der Reichsversicherungsordnung 1883 auf wirtschaftlich sicherem Boden: Fortan wurden für die Versicherten Pflegesätze von den Krankenkassen gezahlt. In diesen Quasi-Probeläufen des dualen Systems, des Zusammenspiels öffentlicher und freier Wohlfahrt, waren Innere Mission und vor allem die Kommunen von vornherein Partner und Konkurrenten. Grundsätzlich blieben die Modalitäten der öffentlichen Subventionen an diakonische Träger uneinheitlich. Unterstützung konnte es zum Beispiel auch im Rahmen des Armenrechts geben, das generell der Wahrung öffentlicher Sicherheit und Ordnung diente. Zuständig für Angelegenheiten der Armenhilfe usw. waren die Ministerien des Innern auf Landesebene, leistungsverantwortlich waren die Kommunen. Ab und an überwiesen Landkreise, Bezirke und sogar die Staatskasse Zuschüsse an Innere Missions-Einrichtungen. Einrichtungen der Armenhilfe wurden jedoch finanziell nur gering unterstützt.
Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg war die freie Wohlfahrtsarbeit etwa zu einem Drittel durch öffentliche Pflegegelder, nur zu 4 % aus eigenen Erwerbsbetrieben und ansonsten durch Eigenmittel (Vereinsbeiträge und ähnliches) finanziert. Der Erste Weltkrieg löste den politischen Systemwechsel zum Sozialstaat aus und die Kriegsämterwirtschaft bewirkte einen singulären Regelungs- und Bürokratisierungsschub. Daraus folgten neuartige Verkehrsformen, die im Allgemeinen in mehr staatlichem Geld und mehr staatlicher Kontrolle bestanden.
Weimarer Republik und Drittes Reich
Für viele Versicherungs- und Fürsorgegesetze (vor allem für Frauen, Kriegsopfer und ihre Angehörigen) übernahm der Staat die Finanzierung und reagierte damit auf die Nöte der Zeit. Diese finanzielle Belastung konnte er jedoch nicht lange tragen und so entstand durch das Zusammenwirken kommunaler und freier Träger 1922 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) und 1924 die Fürsorgepflichtverordnung, die beide das Prinzip der Subsidiarität beinhalteten. Die nun verallgemeinerte Pflegesatz-Praxis war ebenfalls einrichtungsfreundlich ausgestaltet. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege befanden sich in einer Art Treuhänderschaft gegenüber dem Staat.
Ab 1927/ 28 wurden die positiven Ansätze der beiden Gesetze zunehmend durch ständige Einschränkungen und Notverordnungen paralysiert: Das Reich wälzte zunehmend diese sozialen Aufgaben auf die Kommunen ab, ohne sie entsprechend wirtschaftlich auszustatten. Die 1920er Jahre waren eine Zeit der Zusammenschlüsse der Wohlfahrtsverbände untereinander. Mit fortschreitender Geldentwertung gerieten viele der rasch expandierten Einrichtungen der Inneren Mission zunehmend in Schwierigkeiten, vor allem diejenigen, die von Zinserträgen und Stiftungen lebten. Der Staat hatte zwar Entgegenkommen bei der Schenkungssteuer gezeigt und beließ es bei einem moderaten Steuersatz von 10 %. Aber das konnte die durchschnittlichen Kursverluste bei Staats- und Kommunalobligationen nicht kompensieren: Stiftungen waren dazu verpflichtet, ihr Vermögen in mündelsicheren, freilich verlustbringenden Wertpapieren anzulegen. Auch die Beiträge der Vereinsmitglieder und die gewährten Pflegesätze hielten mit der Inflation nicht Schritt. Kreditaufnahmen wurden immer riskanter – die öffentlichen Versicherungsanstalten, die zuvor Darlehen an die Innere Mission gewährt hatten, gerieten selbst in Finanznöte. Einen ordentlichen Haushalts- und Wirtschaftsplan aufzustellen wurde immer schwieriger und manche Einrichtungen der Inneren Mission mussten Konkurs anmelden und wurden geschlossen. Lediglich Anstalten mit Produktivbetrieben konnten sich gut halten.
Die wirtschaftlichen Erschwernisse für die Innere Mission im Dritten Reich waren das Sammlungsverbot und die Behinderung der Öffentlichkeitsarbeit, dazu steuerliche Erschwernisse und schließlich „das Ausbleiben jeglicher Hilfen bei Umschuldungs- oder Entschuldungsmaßnahmen“. Zu diesen Formen des „Aushungerns“ passten die weiteren Gefährdungen diakonischer Einrichtungen: die Übernahmedrohungen durch die NS-Volkswohlfahrt, Beschlagnahmungen oder Teilbeschlagnahmungen durch die Wehrmacht oder die SS, die gesteuert zurückgehenden Belegungszahlen.
Formal bestanden zwar die Weimarer Sozialgesetze, auch diejenigen, die das duale System zugrunde legten, während der nationalsozialistischen Herrschaft weiter, aber nicht nur durch direkte Ausschaltung beziehungsweise Gleichschaltung von Wohlfahrtsverbänden, sondern auch durch Maßnahmen wie die Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung und die Einführung des Führerprinzips in der Gemeindeordnung 1936 oder extrem niedrige Pflegesätze für die Behinderten- und Altenhilfe wurden die Gesetze de facto ausgehebelt.
Nach 1945
Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs unterstanden die Pflegesätze der staatlichen ,Preiskontrolle‘; Rechtsgrundlage für die wieder aufgenommenen oder weitergeführten Innere Missions-Aktivitäten waren weiterhin die Maßgaben des RJWG und der Fürsorgepflichtverordnung. In den 1950er Jahren entstand die Praxis, die Pflegesätze zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und den kommunalen Spitzenverbänden auszuhandeln.
1945 wurde während der Treysaer Kirchenversammlung das Evangelische Hilfswerk gegründet, das keine eigenständige Rechtsform hatte, sondern diakonisches Handeln in Identität mit der verfassten Kirche realisieren wollte, de facto ein kirchliches Sondervermögen war. In seinen ersten fünf Tätigkeitsjahren sammelte das Hilfswerk in den vier Besatzungszonen ca. 180 Millionen RM und circa 15 Millionen DM, erhielt aus dem Ausland umgerechnet circa 30 Millionen DM, dazu Lebensmittel und andere ,Liebesgaben‘ im Wert von circa 200 Millionen DM und große Mengen Rohstoffspenden (zum Beispiel 750.000 m Stoffe). Dass das Hilfswerk eine Reihe von Wirtschafts- und Geschäftsbetrieben unterhielt, ließ Kritik aufkommen; das Hilfswerk musste die meisten seiner Wirtschaftsbetriebe ausgliedern und sich so seiner kommerziellen Basis begeben.
Ab 1961 legten das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) den bedingten Vorrang der freien Wohlfahrtspflege vor der öffentlichen fest. Dass sich gemeinnützige bzw. freie Träger und die Leistungsträger „zum Wohl der Leistungsempfänger wirksam ergänzen“ sollen, bestimmte dann auch das Sozialgesetzbuch (§ 17 Abs. 3 SGB I).Gemeinnützigkeit bedeutete zum einen steuerliche Vergünstigungen, zum andern ein faktisches Verbot der Eigenkapitalbildung.
Im Krankenhausfinanzierungsgesetz, das nicht Teil des Sozialgesetzbuches ist, tauchen subsidiäre Elemente nicht auf, jedoch sei bei der Gesetzesdurchführung „die wirtschaftliche Sicherung frei-gemeinnütziger und privater Krankenhäuser zu gewährleisten…“ (§ 1 Abs. 2). In die Pflegesätze der stationären und teilstationären Einrichtungen wurden alle Kosten aufgenommen, die – bei wirtschaftlicher Betriebsführung – für sach- und fachgerechte Sozialarbeit anfielen. Gegen Kostenträger-Stimmen konnte bei Pflegesatzverhandlungen nicht beschlossen werden. Je nach Haushaltslage nahmen die Vertreter der Kostenträger ihr Auskunftsrecht in den Pflegesatzverhandlungen locker oder rigide in Anspruch. Ein Prüfrecht durch die Kostenträger bestand freilich nicht. Die Krankenhaus-Pflegesätze unterschieden sich von den Regelungen im Bereich der Sozial- und Jugendhilfe insofern, als in ihnen sog. Vorhaltekosten fehlten (Bau- und Unterhaltungskosten, Abschreibung, Ersatzbeschaffung), die gemäß Krankenhaus-Finanzierungsgesetz die öffentliche Hand zu tragen hatte.
Weitere Geldquellen taten sich bei der Erneuerung des Sammlungswesens, zum Beispiel,Brot für die Welt‘ auf. Die Landeskirchen finanzierten großenteils die Geschäftsstellen der Landesverbände und die Arbeit der Diakonie-Kreis- bzw. Bezirksstellen: zum einen aus Gewohnheit (diese Stellen entstammen meist der Hilfswerk-Tradition), zum andern wegen der neuen Rechtsbeziehungen zwischen Kirche und Diakonie (die Kirche hat sich das Diakonische Werk „kraft Kirchenrechts … zugeordnet“ und ist zugleich Mitglied des Vereins Diakonisches Werk).
Neben den oben genannten bundesrechtlichen Maßgaben, die die freie Wohlfahrtspflege privilegierten, entstanden zahlreiche landesrechtliche, zum Beispiel Regelungen für die Kindergärten, die Sonderschulen u.a.m. Die Finanzierungsmodalitäten weichen von Bundesland zu Bundesland erheblich ab.
Die einzelnen Landesregierungen erließen spezielle Sozialprogramme (Landesaltenpläne, Psychiatriepläne u.ä.), aufgrund deren die staatlichen Leistungen zu Betriebskosten und für Baumaßnahmen erheblich ausgebaut wurden. In unterschiedlicher Weise leisteten die Kommunen nach 1961 zum Teil beachtliche Betriebskostenzuschüsse für die ambulante Arbeit (zum Beispiel Beratungsdienste). Die freie Wohlfahrtspflege erhielt zudem (und erhält noch) einen Anteil an Lotterie- und Bußgeldern und den Gewinn aus dem Verkauf von Wohlfahrtsbriefmarken.
Krisenhaft gestaltete sich die Entwicklung der Krankenkassenleistungen und der öffentlichen Förderung für die Gemeindekrankenpflege. Das seit 1970 verfolgte Konzept der Sozial- bzw. Diakoniestation bezog dann die Gemeindekrankenpflege in die Planungskompetenz des Staates ein, sie wurde Teil der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge. Die Entwicklung ging dahin, dass die meisten Kirchenkreise ihre Stationsarbeit konzentriert und rationalisiert haben; jede einzelne Pflegeleistung wird in Geldwert nach Minuten bemessen: damit „eine Diakoniestation durch die Einnahme von Pflegeentgelten kostendeckend betrieben werden kann“.
Drei Elemente bestimmten das Finanzierungssystem der Diakonie in der Bundesrepublik: Eigenmittel, Kostenerstattungen und öffentliche Förderung. Bei Kostenerstattungen handelt es sich entweder um Ansprüche gegenüber dem Staat (zum Beispiel Investitionsförderung für Krankenhäuser, Sonderschulen) oder gegenüber den Sozialleistungsträgern (in Form von Pflegesätzen im Bereich der Sozial- und Jugendhilfe). Pflegesätze sind keine Subventionierung der Diakonie, sondern entsprechen einem Erstattungsanspruch eines Hilfeempfängers gegenüber Kostenträgern; die Rechtsbeziehung zwischen diakonischem und Leistungsträger entsteht, indem der diakonische Träger einen Vertrag mit dem Hilfeempfänger schließt.
Förderung ist eine freiwillige Leistung des Staates, der Kommunen, der Sozialversicherungsträger, konkret: Zuschüsse zum Beispiel für Baumaßnahmen, für Beratungsstellen, ambulante Dienste usw. Zuschüsse bedeutet: Die öffentliche Förderung setzt Eigenmittel und deren Einsatz voraus. Diese Regelung spielte sich ein, obgleich es keine Rechtsgrundlage gab. Über freiwillige Leistungen wurde und wird von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr neu entschieden, was eine gewisse Rechtsunsicherheit bedeutet, insbesondere für das Personal, das durch derartige Förderungen finanziert wird. Ende der 1980er Jahre wurden in der Diakonie 31 % der Betriebskosten durch Sozialleistungsträger, 41 % durch öffentliche Zuschüsse oder ähnliches und 11 % durch Eigenmittel finanziert. Zwischen 1970 und 1990 hatte die Diakonie einen auffälligen Wachstumsschub: Die Zahl der Einrichtungen wuchs um ein Drittel auf 27.432 und die Mitarbeiterschaft um 52 % auf 262.602.
Die gesellschaftliche und rechtliche Platzierung der Wohlfahrtsverbände rangiert zwischen erwerbs- und staatswirtschaftlichem Bereich. Von daher rührt die Bezeichnung „dritter Sektor“; Diakonie ist intermediär. Im Grunde betrieben und betreiben die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, so auch die Diakonie, Sozialpflichtigkeitsstellvertretung. Die Verbände wickelten für die Hilfeempfänger Geschäfte ab, vermittelten staatliche Pflichtausgaben sozial. Die Geschäftsrisiken waren für alle Beteiligten relativ klein, zumindest überschaubar, aber durch die ,ordentliche‘ Struktur der Verbände nicht eben billig (die Diakonie bezahlte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach den Maßgaben des sog. Dritten Weges, d.h. in etwa entsprechend dem Bundesangestellten-Tarifvertrag, und legte für die Arbeit die stabilen, aber nicht eben preiswerten Konditionen des öffentlichen Dienstrechts zugrunde).
Die Intermediarität, die gesellschafts- und sozialpolitische Privilegierung der Diakonie, brachte es mit sich, dass sie einmal ihre (alten) Ideale geltend machen, gleichzeitig eine professionelle Struktur unterhalten sowie ihre Mitarbeiterschaften nach gesellschaftlichen Spielregeln sichern konnte.
Seit den 1990er Jahren setzte ein tief greifender sozial-logischer Wandel ein, der die bundesrepublikanischen Konstruktionsmerkmale wohlfahrtspflegerischer Aktivitäten, Subsidiarität und Gemeinnützigkeit, entkräftete und der die Prinzipien des deutschen Bundessozialhilfegesetzes, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, des Sozialgesetzbuches aushöhlte. Die neue Sozialpolitik kam z.B. als Einführung der Pflegeversicherung in Stufen mit deregulierenden und privatisierenden Elementen, als Aufgabe des Selbstkostendeckungsprinzips im Sozialhilferecht und bei gleichzeitiger Öffnung des Anbietermarkts. Die Träger diakonischer Arbeit, vor allem die großen, reagierten rasch auf die neuen Markt-Herausforderungen durch Veränderungen der Rechts- und Wirtschaftsformen.
Autor: Horst Seibert