Nachgefragt: „Die Politik verlässt sich zu sehr auf ehrenamtliches Engagement“
Viele freiwillig Engagierte helfen Geflüchteten beim Ankommen in Deutschland. Ankommen ist der erste Schritt, Fuß fassen der nächste und das bedeutet auch: deutsche Bürokratie meistern. Dabei helfen unsere Migrationsberatungsstellen.
Redaktion: Diakonie/Aleksandar Zivanovic | 23.08.2022
Worauf es dabei ankommt und was noch zu tun ist, darüber sprechen wir mit Uta Amme. Sie arbeitet bei der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) des Diakonischen Werkes Steglitz und Teltow-Zehlendorf e. V. (DWSTZ) in Potsdam.
Mehr als 13 Millionen Menschen sind seit Kriegsbeginn in der Ukraine auf der Flucht. Über 900.000 Menschen sind in Deutschland angekommen. Wie ist die Situation derzeit und wie hat sich der noch immer andauernde Kriegszustand auf das freiwillige Engagement ausgewirkt?
Uta Amme: Potsdam ist durch seine Lage und durch die bereits hier lebenden Ukrainer und Ukrainerinnen eine Anlaufstelle für viele Geflüchtete aus der Ukraine. Bisher sind ca. 3.000 Menschen registriert worden, wobei die Stadt nach dem bundesweiten Verteilschlüssel nur etwas mehr als die Hälfte hätte aufnehmen müssen. 2.200 Menschen sind privat untergebracht, oft in nicht auf Dauer angelegten Wohnverhältnissen. Nur ein Teil der Aufgenommenen hat bisher eine Zuweisung und weiß somit, wo sie dauerhaft leben können. In einzelnen Fällen, zum Beispiel bei engen familiären Bindungen, kann weiterhin eine Zuweisung hierher erfolgen. In der Praxis funktioniert das nicht immer.
Das freiwillige Engagement in Nachbarschafts-, Begegnungszentren, Willkommenscafés, von ehrenamtlich Helfenden und Privatpersonen, die Ukraine-Geflüchtete aufgenommen haben, ist weiterhin groß, aber es melden sich auch Menschen, denen die Aufnahme zu viel wird und die Entlastung brauchen. Was aber auch klar ist: Professionelle Angebote können den hohen Bedarf an Beratung und Unterstützung mit dem derzeit finanzierten Personalschlüssel nicht vollständig decken.
Welche Hilfen können Geflüchtete aus der Ukraine über die Beratungsstelle, bei der Sie arbeiten, erhalten? Unterscheiden sich diese Angebote zu den Hilfen für Menschen, die aus anderen Ländern geflüchtet sind?
Amme: Unsere Beratungsstelle berät sowohl Beraterinnen und Berater, ehrenamtlich Helfende als auch geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer und Menschen anderer Staatsbürgerschaft, sogenannte Drittstaatsangehörige, die bei Kriegsausbruch in der Ukraine gelebt haben. Für letztere ist es teilweise schwieriger, einen Aufenthaltsstatus für Deutschland zu bekommen, besonders für internationale Studierende. Während bei Menschen, die nicht aus der Ukraine, sondern aus anderen Ländern geflüchtet sind, vor allem Beratungen zum Thema Familiennachzug, soziale Sicherung, Sprachkurs- und Arbeitssuche und Aufenthaltsrecht gefragt sind, stehen bei den Geflüchteten aus der Ukraine neben Fragen zum Aufenthalt momentan Zuweisung und Verteilung, Unterbringung sowie Arbeits- und Studienaufnahme im Vordergrund. Die Migrationsberatung allein kann die umfangreiche Sozialberatung aller Geflüchteten aus der Ukraine nicht leisten. Die MBE unterstützt jedoch die ehrenamtlich Helfenden und Beratungsangebote aus dem Netzwerk mit ihrer fachlichen Expertise.
Was wünschen Sie sich von der Politik, um Geflüchteten – sowohl aus der Ukraine, als auch aus anderen Ländern – noch effizienter helfen zu können?
Amme: Geflüchtete sollten gleich fair behandelt und menschenwürdig willkommen geheißen werden, egal, ob sie als Staats- und Drittstaatsangehörige aus der Ukraine oder aber aus Syrien, Afghanistan oder anderen Ländern fliehen mussten. Rahmenbedingungen, wie sie jetzt für die Geflüchteten aus der Ukraine möglich sind, sollten auch für Geflüchtete aus anderen Ländern gelten. Dazu gehören: die zeitnahe Gewährung eines Aufenthaltsstatus‘, Zugang zu Sozialleistungen und Arbeitsmarkt, Krankenversicherung, Integrationskursen, die rasche Anerkennung von Qualifikationen, unproblematischer Familiennachzug sowie die freie Wahl des Zufluchtslandes. Restriktionen wie Arbeitsverbot, langjährige Asylverfahren, die Pflicht zum Wohnen in Sammelunterkünften sowie das Asylbewerberleistungsgesetz sollten abgeschafft werden. In eigener Sache wünschen wir uns, dass die Politik sich hier nicht allein auf ehrenamtliches Engagement verlässt, sondern den Trägern der sozialen Arbeit auch ausreichend Mittel zur Verfügung stellt.
Redaktion: Diakonie/Aleksandar Zivanovic