Digitale Technologien erleichtern den Alltag im Pflegeheim
Die Digitalisierung in der Pflege hat in den vergangenen Jahren einen erheblichen Schub bekommen. Innovative Systeme erleichtern Pflegekräften den Arbeitsalltag und verhelfen Bewohnerinnen und Bewohnern zu mehr Aktivität.
07.09.2022
Wie innovative Systeme sinnvoll im Pflegeheim eingesetzt werden, darüber informierten sich die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, und Diakonie-Vorständin Sozialpolitik, Maria Loheide, am Mittwoch in der Johannesstift Diakonie in Berlin-Spandau. Die Johannesstift Diakonie nimmt mit ihrer Sparte Pflege & Wohnen in der Region Berlin-Brandenburg mit vielen Projekten eine Vorreiterrolle in der Digitalisierung der Pflege ein. Unter anderem gehört die Pflegeeinrichtung Theodor-Fliedner-Haus zum Pflegepraxiszentrum Berlin (PPZ Berlin), das als eines von vier PPZs in Deutschland innovative Technik in den Pflegeprozess integriert. Hier werden neue Technologien in klinischen, stationären und ambulanten Pflegebereichen erprobt und Erfahrungen und Wissen zu pflegerischer Aus- und Weiterbildung geteilt. Neben Berlin gibt es Pflegepraxiszentren in Freiburg, Nürnberg und Hannover sowie ein Pflegeinnovationszentrum (PIZ). Die fünf Zentren werden mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums gefördert. So kommen Forschung, Wirtschaft und Pflegepraxis mit Anwenderinnen und Anwendern zusammen, um neue Produkte für einen optimaleren Pflegealltag zu entwickeln.
Im Theodor-Fliedner-Haus in Berlin gestalten unter anderem Sensoren-Lösungen die Versorgung sicherer. So erhalten Pflegekräfte eine Benachrichtigung, wenn sturzgefährdete Personen aufstehen, demenziell veränderte Menschen Türen öffnen oder das Hygienematerial beispielsweise bei Inkontinenz gewechselt werden muss.
Das Projekt PYSA spricht vor allem jüngere Pflegekräfte an. Hier wird die Pflegedokumentation per Smartphone eingesprochen, was nicht nur effizienter ist, sondern der schriftlichen Dokumentation überlegen ist. Technische Innovationen in der Pflege können älteren Menschen den Alltag erleichtern und sie mehr teilhaben lassen, beispielsweise durch eine gestengesteuerte Interaktions- und Spielmöglichkeit.
Vorgestellt im Rahmen des Besuchs wurde auch das Präsentationssystem Qwiek.up. Dabei handelt es sich um einen Videoprojektor, der beruhigende Bilder, Filme und Musik an Wand- und Deckenflächen wirft und so beispielsweise mit einem simulierten Waldspaziergang die Pflege von unruhigen Bewohnerinnen und Bewohnern erleichtern kann. Die Animation aus Bild und Ton wird durch passende Gerüche ergänzt.
Maria Loheide, Diakonie-Vorständin Sozialpolitik: „Die hier vorgestellten innovativen digitalen Lösungen sind beindruckend, sie bieten alten Menschen mehr Selbständigkeit und unterstützen die Pflegekräfte. Sie sollten jedoch nicht nur im Rahmen von Modellprojekten möglich sein, sondern müssten dringend in die Regelversorgung übernommen werden. Hier ist die Politik auch im Rahmen der anstehenden Pflegeversicherungsreform gefordert.“
Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung: „Die Digitalisierung ist in der Pflege unverzichtbar. Pflegebedürftige können durch digitale Angebote mehr Selbstständigkeit erlangen. Und die Pflegeberufe werden attraktiver, dem Pflegenachwuchs kann etwas geboten werden und die Pflege wird effizienter. Dadurch steigt die Berufszufriedenheit der Pflegenden. Jede Pflegekraft möchte das erlernte Fachwissen lieber anwenden und sich um die Pflegebedürftigen kümmern – als händisch ellenlange Dokumentationsbögen auszufüllen oder sich mit Papierabrechnungen herumzuschlagen. Um die Früchte der Digitalisierung ernten zu können, ist es jedoch zwingend notwendig, dass Systembrüche beseitigt werden. Von der Erfassung der Pflegedokumentation bis hin zur Abrechnung durch die Pflegekassen ist eine medienbruchfreie Kommunikation aller Beteiligten erforderlich.“
Roswitha Gabriel, Geschäftsführung Pflege & Wohnen Region Berlin Brandenburg der Johannesstift Diakonie gAG: „Vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft und der damit einhergehenden steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen sowie dem dramatischen Mangel an Fachkräften wird die Digitalisierung und Technisierung in der Pflege einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung und Verbesserung der Versorgungsqualität bieten. Es muss ein Diskurs geführt werden für ein einheitliches Verständnis über die Zielsetzung des Einsatzes und die Potentiale und Risiken. Darüber hinaus ist die Frage der Finanzierung digitaler Arbeitsmittel und moderner Technologien von Relevanz. Derzeit scheitert der Einsatz häufig am fehlenden Budget der Einrichtungen und den nicht zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln der Bundesländer.“
Tobias Kley, Verbundkoordinator Pflegepraxiszentrum Berlin und Prokurist im Bereich Pflege & Wohnen der Johannesstift Diakonie: „Ob Banking, Shopping oder Streaming – ein Großteil unseres Lebens funktioniert stark digitalisiert, was viele Menschen als Erleichterung wahrnehmen. Die Pflege der Zukunft wird ebenfalls digitaler. Es muss gelingen, dass Pflegeprozesse durch Digitalisierung ebenfalls optimiert werden. Konkret: Weniger unnötige Wege, dadurch mehr Zeit mit den Pflegebedürftigen. Mehr Informationen über Bedarfe, dadurch bessere Versorgung. Schnellere Alarmierung, dadurch rechtzeitige Hilfe und Unterstützung. Einfachere Kommunikation, dadurch mehr Teilhabe und Selbstbestimmung.“
Über das PPZ Berlin: Zum Konsortium des PPZ Berlin gehören die Forschungsgruppe Geriatrie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Alice Salomon Hochschule, das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft sowie die Technikunternehmen escos automation GmbH und NursIT Institute. Praxispartner und Verbundkoordinatoren sind das Evangelische Geriatriezentrum Berlin EGZB und das Theodor-Fliedner-Haus, eine stationäre Pflegeeinrichtung des Pflege & Wohnen im Johannesstift. Im Mittelpunkt stehen technische Innovationen bei Themen wie Diabetes, Inkontinenz, Demenz, Mobilität und Vitaldatenerhebung. Das Projekt ermöglicht es, die Anwendungen in verschiedenen Pflegesettings zu vergleichen, wie etwa im Krankenhaus, in der stationären Langzeitpflege und perspektivisch auch in der ambulanten Pflege. Durch einen steten Austausch mit den Pflegenden wird sichergestellt, dass die Technik die Pflege unterstützt – und nicht dominiert. Wann die IT-Lösungen den Weg in die alltägliche Pflegepraxis finden, ist heute schwer absehbar. Zum einen gibt es oft noch viele technische Einschränkungen für den konkreten Praxiseinsatz, zum anderen fehlt eine nachhaltige Finanzierung durch die Kostenträger.