Abbildung des Vorstands der Diakonie
Diakonie/Hermann Bredehorst
175 Jahre #ausLiebe:

Interview mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie zum Diakonie Jubiläum

Redaktion: Diakonie/Verena Götze | 22.09.2023

Herr Lilie, das Motto der Kampagne anlässlich des 175-jährigen Bestehens lautet #ausLiebe und bezieht sich auf Johann Hinrich Wichern, der 1848 ein Netzwerk der „rettenden Liebe“ gefordert hat. Inwiefern ist die Diakonie Deutschland heute ein solches Netzwerk?

Ulrich Lilie: Die mehr als 30.000 Einrichtungen der Diakonie in ganz Deutschland sind heute die Knotenpunkte dieses engmaschigen Netzwerks. Unsere „Filialen“ finden sich in Städten und Gemeinden, aber auch im ländlichen Raum: Alle, die Hilfe brauchen, können sich darauf verlassen, unterstützt und belgeitet zu werden. Das soll auch in Zukunft so sein. Ich bin überzeugt, dass wir aus Liebe und aus Glauben, mit sehr viel Menschenfreundlichkeit und vielfältiger Professionalität, nicht nur konkret Hilfe leisten, sondern auch Zusammenhalt fördern können.

Warum braucht es überhaupt eine Kampagne zum Jubiläum?

Lilie: 175 Jahre nach der Stegreif-Rede von Johann Hinrich Wichern sind wir als Kirche und Diakonie besonders gefragt, wie wir Teil der Lösung der Herausforderungen unserer Zeit sein können. Ich sehe es als historische Aufgabe der Kirche und der Diakonie, sich in dieser Phase der globalen Umbrüche nicht nur mit uns selbst zu beschäftigen, sondern – ähnlich wie damals – wacher zu werden für ihre Aufgabe in dieser tiefgreifenden gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Transformation. Deshalb wollen wir in diesem Jubiläumsjahr nicht nur zurückzuschauen, sondern miteinander und mit anderen darüber ins Gespräch kommen, wie wir als Diakonie in die Zukunft gehen: Wie kann unser „Netzwerk der christlichen Liebestätigkeit“ in dieser sich so rasant verändernden Welt der komplexen Krisen und der sich differenzierenden Vorstellungen von gutem Leben wirksam bleiben? Was muss sich ändern, was muss unbedingt bleiben, damit die Diakonie mit Kompetenz und #ausLiebe in Kooperation mit anderen weiterhin dazu beitragen kann, dass unsere freie Gesellschaft ein lebensfreundlicher Ort bleibt? Solche Fragen besprechen wir zum Beispiel bei unserem Zukunftskongress mit rund 300 Menschen – nicht nur aus Diakonie und Kirche  im November in Leipzig.

Die Diakonie blickt im Rahmen der Kampagne nicht nur auf Erfolge und die Vielfalt ihres Leistungsangebots zurück, sondern erinnert auch an die „dunklen Seiten“ ihrer Geschichte. An was denken Sie dabei?

Lilie: Zu den düsteren Seiten der Diakonie-Geschichte zählen etwa Untertanengeist und Kriegsbegeisterung. Das Versagen während des Faschismus, vor allem angesichts der sogenannten Patientenmorde ist wohl das finsterste Kapitel. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Heimkindern viel Leid geschehen, dies ist intensiv aufgearbeitet worden. Derzeit werden gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland die Fälle von Missbrauch und sexualisierter Gewalt wissenschaftlich erforscht. Unsere Kampagne lädt ein, gedenkend und bekennend zurückzuschauen. Das tun wir und unsere Mitglieder in ihren Häusern, gemeinsam mit den Menschen, die heute in ihnen leben und arbeiten. In Andachten, Gottesdiensten, Gedenkveranstaltungen. Denn, wo Schuld ist, muss Schuld bekannt werden.

Was sind die größten Herausforderungen, vor denen die Diakonie in den nächsten Jahren steht?

Lilie: Der Fachkräftemangel bereitet uns große Sorgen, die sich immer ungleicher entwickelnden Sozialräume und Regionen. Und natürlich die sozial-ökologische Transformation, in der sich unsere Gesellschaft und wir befinden. Aber auch innerhalb der Organisation der Diakonie warten Aufgabe: Wir haben eine sehr heterogene und komplexe Struktur. Wir werden zu lernen haben, unsere Abstimmungsprozesse fluider, temporeicher zu organisieren. Damit wir auf Landes- und Bundesebene mit einer Stimme sprechen, gemeinsam Veränderungen anstoßen können und zu konsentiertem Handeln kommen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von der Netzwerk-Diakonie, weil ich überzeugt bin, dass wir noch konsequenter auf eine Kultur der Kooperation und des Austauschs setzen müssen. Je unterschiedlicher die Ausstattung und Stärke auch unserer Mitglieder wird, umso mehr sollten die Starken die Schwachen unterhaken und sich gegenseitig ergänzen lernen. So bleiben wir auch in der Fläche eine weiterhin fachlich gut aufgestellte Diakonie. 

Redaktion: Diakonie/Verena Götze

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