Vorschläge der Diakonie für ein Suizidpräventionsgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 das Recht auf einen freiverantwortlichen Suizid anerkannt. Die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Lebens rückt damit in den Vordergrund. Auch aufgrund der hohen und zudem steigenden Zahl von Suiziden und Suizidversuchen hat der Staat präventive Maßnahmen zu ergreifen, sodass Menschen gar nicht erst in die Situation kommen, einen Suizid zu erwägen. Keinesfalls darf ein (assistierter) Suizid zu einer normalen Option werden.
Die Diakonie Deutschland fordert in ihrem aktuellen Positionspapier deshalb einen verbesserten gesetzlichen Rahmen, um Suizide zu verhindern und das Leben zu schützen. Sie schlägt die folgenden Bausteine für das von vielen Seiten geforderte Suizidpräventionsgesetz vor.
Fachliche Forderungen
1. Suizidprävention im Rahmen der TelefonSeelsorge Deutschland
Suizidale Gedanken entstehen oft bereits weit im Vorfeld einer Krise. Die TelefonSeelsorge leistet mit ihren vielfältigen Angeboten eine bewährte Hilfe in der frühzeitigen Suizidprävention. Angesichts ihrer gesellschaftlichen Relevanz ist ihre staatliche Förderung dringend auszubauen.
Derzeit kann die TelefonSeelsorge keine zeitnahe Hilfe in akuten suizidalen Krisen leisten. Deshalb unterstützt die Diakonie Deutschland den Antrag der TelefonSeelsorge Deutschland e.V. zur Einrichtung eines „Krisencalls“. Diese Maßnahme sieht eine exklusive Rufnummer für akute suizidale Krisen vor sowie eine gezielte Begleitung durch speziell geschulte Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende, deren Finanzierung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erfolgen soll.
2. Suizidprävention im Kindes- und Jugendalter
Die Suizidprävention bei Kindern und Jugendlichen muss in Schulen, Freizeitangeboten und Medien ansetzen. Lehrkräfte und freiwillig Engagierte sollten geschult werden, und die Kontrolle gefährdender Inhalte in sozialen Medien muss verbessert werden. Zudem sollten suizidpräventive Inhalte und Hilfsangebote digital verbreitet und Online-Angebote ausgeweitet werden.
3. Flächendeckender Ausbau der psychiatrisch-psychosozialen Krisendienste
Das Suizidrisiko bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist stark erhöht. Deshalb ist in den Bundesländern der flächendeckende Ausbau psychiatrisch-psychosozialer Krisendienste, die rund um die Uhr erreichbar sein sollten und aufsuchende Hilfe leisten können, unbedingt notwendig. Die gesetzliche Krankenversicherung sollte sich an der Finanzierung der Krisendienste beteiligen.
4. Suizidprävention im Strafvollzug
In Gefängnissen, die sehr häufig mit Suiziden konfrontiert sind, sollten gezielte Präventionsprojekte und Sensibilisierungen des Personals für psychische Erkrankungen stattfinden. Eine gute psychiatrische Versorgung und angemessene Behandlungsmaßnahmen für inhaftierte Menschen mit psychischen Erkrankungen sind unerlässlich, um Suizidalität zu verhindern.
5. Einführung eines präventiven Hausbesuchs
Freiwillige, präventive Hausbesuche für ältere Menschen sollen deren Lebensqualität erhöhen und Isolation reduzieren. Diese Besuche ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von psychosozialen Problemen und bieten Unterstützung, um den Zugang zu notwendigen Hilfsangeboten zu erleichtern. Damit soll dem erhöhten Suizidrisiko älterer, oft einsamer Menschen entgegengewirkt werden.
6. Erweiterung der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) um psychosoziale Fachkräfte
Neben der medizinischen Versorgung sollte die SAPV auch psychosoziale Unterstützung umfassen, um emotionalen Belastungen und Ängsten entgegenzuwirken. Professionelle Fachkräfte sind notwendig, um Betroffene bei der Bewältigung von Angst und Kontrollverlust zu unterstützen und Angehörige zu entlasten, Ressourcen zu aktivieren und Perspektiven für ein Leben nach dem Verlust zu entwickeln.
Errichtung einer Bundesstiftung Suizidprävention
Die Diakonie Deutschland empfiehlt die Einrichtung einer „Bundesstiftung Suizidprävention“ zur langfristigen Finanzierung und Koordinierung bundesweiter Suizidpräventionsprojekte, ähnlich dem Modell der Bundesstiftung Frühe Hilfen. Das Stiftungsvermögen könnte durch eine Geschäftsstelle beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verwaltet werden. Die Mittelvergabe sollte anhand von Leitlinien auf der Grundlage fachlicher Vorgaben und Empfehlungen erfolgen, die von einer nationalen Kompetenz- und Koordinierungsstelle in Kooperation mit den Akteuren der Suizidprävention erarbeitet werden.
Öffentlichkeitsarbeit
1. Abbau von Tabus und Stigma
Die Diakonie Deutschland unterstützt ausdrücklich die geplante Öffentlichkeitsarbeit zur Enttabuisierung von suizidalen Krisen und psychischen Erkrankungen, um frühzeitige Hilfe zu fördern und Stigmatisierung zu verhindern. Die Aufklärung sollte sowohl über Suizidrisiken in verschiedenen Lebensphasen als auch über gesellschaftliche Diskussionen zu Lebensqualität und Verwundbarkeit informieren.
2. Angebote der Hospizarbeit und Palliativversorgung
Die Angst vor einem leidvollen Altern und Sterben sowie die Vorstellung von Einsamkeit und Hilflosigkeit kann Menschen dazu bewegen, einen (assistierten) Suizid in Betracht zu ziehen. Informationskampagnen sollen die Möglichkeiten der modernen Schmerzbehandlung und der hospizlichen Begleitung bekannter machen, um Ängste vor einem leidvollen und schmerzhaften Lebensende zu mindern und somit suizidpräventiv zu wirken.