@epd-Bild/Ilir Tsouko
Interview mit der Migrationsberatung der Lebensraum Diakonie e.V. Lüneburg.

„Wir dürfen uns nicht an diese Taliban-Regierung gewöhnen“

Nach der Machtübernahme der Taliban wurde das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan ins Leben gerufen, um besonders gefährdete Menschen nach Deutschland zu bringen. Wegen geplanter Kürzungen im Bundeshaushalt steht es nun möglicherweise vor dem Aus.

Was die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan bedeuten könnte, darüber haben wir mit Katja Heidmeier und Gezal Schönfeldt gesprochen, beide arbeiten in der Migrationsberatung der Lebensraum Diakonie e. V. Lüneburg. 

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Menschen, die sich in Afghanistan für Freiheit, Demokratie, Bildung und Frauenrechte eingesetzt haben?

Heidmeier: Diese Menschen sind gefährdeter denn je. Wir hören von Menschen, die sich jede Nacht woanders vor der Taliban-Polizei verstecken müssen. Sie schlafen in Kabul zwischen Autos, um nicht entdeckt zu werden. Über diese Menschen wird viel zu wenig gesprochen. Wir dürfen uns nicht an diese Taliban-Regierung gewöhnen.

Was bedeutet das konkret?

Schönfeldt: Wir haben jahrelang mit guten Projekten aus Deutschland und der EU viele Menschen in Afghanistan dazu animiert, sich für Bildung, Rechtsstaat und Demokratie einzusetzen. Genau diese Menschen dürfen wir jetzt nicht einfach im Stich lassen, wir dürfen sie nicht vergessen.

Sie haben einige Klient:innen in ihrer Migrationsberatung zum Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan beraten und begleitet. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Heidmeier: Einige Fälle in unserer Bestandsberatung haben zu dem Aufnahmeprogramm gepasst. Diese Fälle haben wir dann bei der Koordinierungsstelle eingereicht. Mit Erfolg: Wir haben es geschafft zwei Schwestern einer unserer Klientin nach Deutschland zu bekommen, das hat uns sehr gefreut! Sie konnten mit ihren Familien einreisen. Sie beginnen nun, sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Das sind acht von aktuell 517 Menschen, die durch das Aufnahmeprogramm nach Deutschland einreisen konnten. Ursprünglich vorgesehen waren viel mehr, an die 1000 Menschen pro Monat.

Warum waren die beiden Schwestern in Afghanistan besonders gefährdet?

Heidmeier: Die eine Schwester war Besitzerin eines Fitnessstudio für Frauen in Kabul, das von den Taliban verboten wurde. Die andere war Lehrerin und Journalistin für das lokale Radio und Fernsehen. Die dritte und letzte Schwester wartet noch auf die Aufnahmezusage. Sie hat derzeit als Lehrerin in Afghanistan keine Zukunftsperspektive, ihr Mann hält sich unter schwierigsten Bedingungen in Kabul versteckt. Sie selbst und der kleine Sohn sind krank und auf Medikamente angewiesen, die sie nicht mehr erhalten können, da auch dies die Taliban verbieten.

Ein anderer Fall: Ein Professor für Politikwissenschaft, der sich bis 2021 für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt hat, war in akuter Lebensgefahr. Die Bedrohungslage durch die Taliban war so massiv, dass er mit seiner Familie nach Pakistan fliehen musste. Er hat immer noch keine Aufnahmezusage aus Deutschland bekommen. Der vierjährige autistische Sohn leidet extrem unter der unsicheren Situation in Pakistan. Das Programm ist die einzige Chance der Familie auf eine sichere Zukunft.

Wie bewerten Sie das Aufnahmeprogramm bisher?

Schönfeldt: Das Programm ist wichtig und sollte weitergeführt werden. Wir fragen uns, wieso es nicht gelungen ist, mehr Menschen seit 2022 aufzunehmen. Vorher hat die Bundesregierung es geschafft, über 30.000 Menschen aus Afghanistan nach Deutschland zu evakuieren. Was uns auch wundert: Inzwischen sind 3700 Personen abgelehnt worden. Möglicherweise hängt das mit Sicherheitsinterviews der zuständigen Behörden zusammen. Was wir von unseren Klient:innen hören ist, es werden ungewöhnliche Fragen gestellt, die dazu führen, dass die Menschen abgelehnt werden. Wir können nicht glauben, dass diese Menschen, die zunächst als akut gefährdete Personen ausgewählt wurden, eine Gefahr für Deutschland darstellen sollen. Beispielsweise wurde eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern abgelehnt. Sie sind nun völlig perspektivlos in Pakistan. Was passiert mit Ihnen?

Was brauchen Sie als Migrationsberatung derzeit am dringendsten?

Heidmeier: Verstetigung. Unsere Beratungs- und Integrationsarbeit wird vom Bund und Land gefördert, was sehr gut ist. Allerdings ist die Förderung immer auf ein Jahr befristet. Das ist zu kurzfristig gedacht und gibt weder den Mitarbeiter:innen noch den Trägern eine Planungssicherheit. Für die kontinuierliche Arbeit mit gut ausgebildeten Kolleg:innen brauchen wir im Sinne der Klient:innen unbefristete Stellen, damit auch junge Kolleg:innen bleiben und sich ein stabiles Team entwickeln kann. 

Das Interview führte Katharina Voss, Diakonie Deutschland. 

Weitere Informationen

Gemeinsam mit mehr als 50 Verbänden und Organisationen hat die Diakonie Deutschland den Appell „Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan retten!“ unterzeichnet.

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