Festreden und Vorträge zum Wichern-Empfang 2025
Vortrag Rüdiger Schuch, Diakonie-Präsident
Begrüßung Wichern-Empfang 2025: Haltet euch an die Welt
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
auch ich heiße Sie herzlich hier in den Räumen der Berliner Stadtmission zu unserem Jahresempfang willkommen. Als wir den Empfang vor vielen Monaten auf diesen Termin gelegt haben, war diese erste Aprilwoche noch eine Plenarwoche des 20. Deutschen Bundestages. Seither haben wir den Bruch einer Regierungskoalition, einen Bundestagswahlkampf, eine Wahl und die Neukonstituierung des Bundestages erlebt. Und erwarten nun mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft einer freiheitlichen, einer sozial gerechten und einer demokratischen Gesellschaft. Die Herausforderungen sind enorm: Krisenerfahrungen, wachsende gesellschaftliche Ungleichheit, Gefühle von Unsicherheit und von mangelnder politischer Teilhabe, Verlusterfahrungen und Statusängste bieten ein Einfallstor für antidemokratische und nationalistische Anschauungen. Es scheint, als scheitern unsere hochkomplexen westlichen Gesellschaften an der sozialen Integration und verleihen deshalb extremistischen Ideologien und populär vereinfachenden Lösungen – neue - Plausibilität. Und gleichzeitig verschieben sich die politische Aufmerksamkeit und die Ausgabenprioritäten des Staates hin zu Verteidigungspolitik und innerer Sicherheit.
Für die Diakonie ist klar: Rechtsextremistisches Gedankengut, Ideologien der Abwertung und Ausgrenzung sind mit den Werten der Diakonie, sind mit dem Glauben an die Menschenfreundlichkeit Gottes nicht vereinbar. Gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus müssen wir und müssen die demokratischen Parteien weiterhin klare, unmissverständliche Worte finden. Und gleichzeitig muss es darum gehen, die Sorgen, Ängste und Unsicherheiten ernst zu nehmen. Es muss darum gehen, in soziale Sicherheit zu investieren. Wir brauchen eine Politik, die den Sozialstaat entwickelt und ihn nicht schlecht redet. Investitionen in gute und erreichbare Unterstützungs- und Bildungsangebote und in die gesundheitliche Versorgung verbessern individuelle Entwicklungschancen und stärken das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie fördern den sozialen Frieden, der für den Wohlstand unseres Landes unerlässlich ist. Ein starker Sozialstaat bedeutet nicht nur ein: Weiter so! Der Sozialstaat braucht Innovationen und Weiterentwicklung. Daran wirkt die Diakonie gerne mit.
Zu unserem Sozialstaat gehört unverzichtbar die gemeinnützige Freie Wohlfahrtspflege. Eine wesentliche Grundlage unsere Wohlfahrtsstaates bildet das Subsidiaritätsprinzip. Es schafft den Freiraum für unser Engagement. Es stärkt die Zivilgesellschaft und die Hilfestrukturen, die Kompetenz und Innovationskraft vor Ort. Es ist per Definition antitotalitär. Es entlässt den Staat nicht aus der Pflicht, es begrenzt ihn heilsam und stärkt das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wir erwarten, dass das geplante Infrastrukturprogramm, sich nicht ausschließlich auf Bau- und Verkehrsinfrastruktur beschränkt, sondern auch die soziale und gesundheitliche Infrastruktur berücksichtigt.
Meine Damen und Herren,
als wir den 8. April für unseren Wichern-Empfang wählten, war uns bewusst, dass in diesen Tagen in besonderer Weise an den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer erinnert wird. Vor 80 Jahren, am 9. April 1945 wurde er mit anderen Beteiligten des 20. Juli im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Für uns in der Diakonie gibt es viele gute Gründe sich mit Bonhoeffer auseinanderzusetzen – mit seiner Theologie und mit seinem mutigen Zeugnis. Nicht um konkrete Antworten auf die politischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Jede Zeit hat ihre eigenen Antworten zu suchen und zu finden. Aber um Orientierung und Inspiration für unser Handeln zu gewinnen.
An Bonhoeffer zu erinnern, bedeutet für mich, an einen Menschen zu erinnern, der mit seinem klaren, christlichen Glaubenskompass früh erkannte, welche Gefahr von einer rechtsextremen, menschenverachtenden Unrechtspolitik ausgeht, der mit Mut und Entschlossenheit für die Menschenwürde eingetreten ist, der Verantwortung übernommen hat für seine Mitmenschen. Ein widerständiger Christ, der getragen von einer tiefen Frömmigkeit, die Hoffnung auch unter widrigsten Bedingungen nicht aufgegeben hat. Hoffnung, das ist nicht die optimistische Erwartungshaltung, dass schon alles gut werden wird. Irgendwann. Hoffnung, das ist eine Herzenskraft, die wir nicht allein aus uns selbst schöpfen können, sondern die uns Menschen von Gott gegeben ist. Sie lässt uns – allen Rückschlägen und Schwierigkeiten zum Trotz - weiter daran arbeiten, eine gute Zukunft für alle zu gestalten.
Hoffnung hat Dietrich Bonhoeffer gestärkt, um seine Arbeit für das, woran er geglaubt hat, auch in äußerster Gefährdung, in Gefängnis und Konzentrationslager fortzusetzen.
Ich freue mich sehr, dass Professor Dr. Wolfgang Huber, ehemaliger Berliner Bischof und von 2003 bis 2009 Ratsvorsitzender der EKD heute bei uns ist. Professor Huber hat sich intensiv mit der Biografie, mit Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers befasst. Sein Buch „Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit“ gehört zu den Standardwerken über den mutigen Theologen. Lieber Professor Huber, wir freuen uns auf Ihre Ausführungen. Sie haben das Wort.
Predigt von Dr. Ursula Schoen, Direktorin Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Predigt zur Einführung von Elke Ronneberger zur Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland am 08.04.2025
Liebe Schwestern und Brüder,
hinter uns liegt der Sonntag "Judika" - kurz übersetzt eine Aufforderung – ja, ein Befehl, der Gott selbst meint: "Richte"! - Er thematisiert im Angesicht des Leidensweges von Jesus die Fragen von Macht und Ohnmacht, von denen, die vermeintlich "oben" sind und denen die vermeintlich "unten". Wer sitzt am Herrschafts-Hebel? Das Evangelium für den Sonntag Judika beantwortet diese Frage mit einen Jesuswort ganz direkt: »Ihr wisst, dass die, die als Herrscher über die Völker betrachtet werden, sich als ihre Herren aufführen und dass die Völker die Macht der Großen zu spüren bekommen. Bei euch ist es nicht so. Im Gegenteil: Wer unter euch groß werden will, soll den anderen dienen; wer unter euch der Erste sein will, soll zum Dienst an allen bereit sein. « (Mk 10)
Wer ist oben? Wer hat die (Definitions-)macht in den Händen? Wer entscheidet über drinnen und draußen – Leben und Tod? - Morgen jährt sich der Todestag des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer und der Gruppe von Menschen, die mit ihm in Flossenbürg hingerichtet wurden zum 80. Mal. Ihr Tod und der Millionen anderer Unschuldiger war ein berechnender Willkürakt! Die Erinnerung daran ist Mahnung und Auftrag für uns gerade in diesen Tagen. 2 Wer ist oben? Wer ist unten? - Hoch brisante Fragen sind dies angesichts der aktuellen Infragestellung des Wirkradius des internationalen Strafgerichthofes oder der bundesdeutschen Debatte um die Zukunft des grundgesetzlich verankerten Asylrechts.
Mitten in diese ja oft rein populistisch getriebene Debattendynamiken hinein setzt das Votum des Sonntags „Judika“ einen anderen Akzent. Er lässt eine einzelne Stimme laut werden:
„Judica me Deus“ – das sind die ersten drei Worte aus Psalm 43. Wir haben sie eben gemeinsam gesprochen. „Judica me deus“ - Luther übersetzt diese Worte mit: "Schaffe mir Recht, Gott!" - Das sind keine triumphalen – keine selbstgewissen Worte von einem Menschen, der sich "im Recht sieht". Ich höre in ihnen eher eine zaghafte, eine verunsicherte Stimme. Eines Menschen, der nach Rückhalt tastet, nach Worten sucht. Der Psalm - lesen wir ihn hier als ein ganz persönliches Gebet – beschreibt das erlebte Unrecht nicht genauer. Vielleicht setzt der/die Betende darauf, dass Gott schon weiß – vielleicht fehlen ihr die Worte um das Erlebte überhaupt zu schreiben, .....Er - Sie beschreibt das Gefühl der Bedrohung, der Ohnmacht, die Suche nach einem sicheren Ort – nach emotionaler – realer Sicherheit. - Als Seelsorgerin habe ich solche Stimmen im Ohr: In der Abschiebungshaft für Geflüchtete in Ingelheim, in der Begleitung von Frauen in einem Frauenprojekt, die im nächsten Umfeld Gewalt erlitten haben.
Diese Worte in Psalm 43 spiegeln die existentielle Verunsicherung von Menschen, die tiefenerschütternde Erfahrungen gemacht haben: Gewalt, Unrecht, Ausgrenzung, „Schaffe mir Recht, Gott!“ Erfahrungen, die sie an Gott und der Welt zweifeln lassen. Erfahrungen, die nicht allein Körper und Seele verletzen, sondern auch das Innerste der eigenen Existenz - Das Vertrauen darauf, dass Menschen das Gute für uns wollen. Menschen, die nach Worten für das Erlebte suchen. Worte finden, habe ich das Recht ein anderes Verhalten zu fordern – ja, letztlich auf ein anderes Leben.
Schaffe mir Recht, Gott! - Das ist Anruf an eine "Medianebene" - Gott als der "Safer Space" außerhalb des "Irdischen" - aus einer Situation, in der es kein Recht gibt oder das Recht und die Gerechtigkeit versagt. Nur Gott selbst kann noch Gerechtigkeit schaffen. Da versucht ein Mensch die biblischen Zusagen im eigenen Leben stark zu machen: “Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.” (Jesaja 41,10). Ein Freund von mir, der auf schwierigen Wegen in Lebensbedrohung aus dem Kongo fliehen musste, sagte mir später: Ich hatte die ganze Zeit ein Bibelwort im Kopf und habe immer wiederwiederholt: Dieses Wort muss an mir wahr werden!
Ist Gott der, der irdische Gerechtigkeit schafft, der uns herauszieht aus den Schlingen, die uns das Leben legt? Aus den erschütternden Erfahrungen, die uns Vertrauen und Lebenskraft nehmen? - Ich weiß es nicht und als reformiert geprägte Theologin schon gar nicht…..!
Aber ich weiß – oder lassen Sie mich demütiger sagen: Ich habe gehört, erlebt, erfahren, dass für Menschen, die durch die Gewalt anderer tief verletzt wurden, in der Vorstellung, dass Gott letztlich richtet, Trost liegt: Trost, weil Täter*innen zur Verantwortung gezogen werden – Trost, dass Gewalt begrenzt wird. Das entlastet eine Gesellschaft nicht von ihrer Verantwortung für die Ausgestaltung von Gerechtigkeit auf allen Ebenen und unabhängige Gerichte zu sorgen.
Und dennoch selbst die Anwendung höchsten - göttlichen - Rechts wird die ganz persönlichen Schmerzen niemals ganz heilen. Die Erfahrung der Gebrochenheit nicht aufheben. Es bleibt immer ein Rest der „Untröstlichkeit“ – auch dies gilt es anzuerkennen und möglicherweise auch auszuhalten. Menschen, die Gewalterfahrungen machen mussten, beschreiben es oft als eine zweite Verletzung ihrer Würde, wenn ihr Schmerz nicht wahrgenommen und ihren Worten nicht geglaubt wird.
Die Journalistin Carolin Emcke hat in ihrem Essay: Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit – ihre Erfahrung Krieg und Gewalt versehrter Länder, dass Menschen sie immer wieder baten, die schrecklichen 5 Erlebnisse für sie aufzuschreiben: „Erst mit der Zeit begann ich zu ahnen, dass sie mich nicht allein darum baten, weil sie das Unrecht und Leid, das ihnen widerfahren war, bestätigt und erinnert wissen wollten, sondern auch, weil sie als die Person bestätigt und vergewissert werden wollten, die sie waren, bevor ihnen all das widerfuhr: jemand, die es wert ist, wahrgenommen zu werden, als Individuum, als menschliches Subjekt.“
Gerechtigkeit ist mehr als ein Aushandlungsprozess verschiedener gesellschaftlicher Interessen, Recht mehr als ein abstraktes Normengerüst. Sie gewinnen von Schutz der Würde und der Lebensrechte des einzelnen Menschen ihre Berechtigung und ihren Grund. Auf das Leben und den Schutz des einzelnen Menschen. Von der Barmherzigkeit. Die Bibel positioniert sich hier sehr klar: Mit den Schutzrechten von Marginalisierten im Alten Testament bis hin zu den Seligpreisungen. Dort heißt es: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Mt 5,6.7)
Dies ist der Horizont, in dem wir als Diakonie unsere Arbeit gestalten. Es ist die Orientierungslinie, die Richtschnur in dunklen Zeiten. Selbstgewissheit ist da nicht angebracht, auch wir als Kirche und diakonische Großfamilie sind Teil unerlöster Strukturen – der unerlösten Welt. Wir tun dies im Vertrauen darauf, „dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf 6 aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet“ (aus dem Bekenntnis von Dietrich Bonhoeffer). Und im Vertrauen auf den, der sein Leben hingegeben hat als Lösegeld für viele, wie es im Wochenspruch heißt. Schaffe mir Recht, Gott! - Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen