Gutachten zum sozial-ökologischen Existenzminimum
Einkommensschwache Haushalte in der Klimapolitik nicht weiter abhängen
11.02.2025
Ohne ein Umsteuern in der Sozial- und Klimapolitik drohen die einkommensschwächsten Haushalte in Deutschland weiter abgehängt zu werden. „In der Debatte um den Klimaschutz wird die Perspektive von Menschen mit wenig Geld viel zu oft vergessen,“ sagt Elke Ronneberger, Bundesvorständin der Diakonie Deutschland, anlässlich der Vorstellung eines Gutachtens der Diakonie Deutschland zum sozial-ökologischen Existenzminimum in Berlin.
Wegen der aktuellen Wirtschaftsentwicklung und den notwendigen Investitionen in den Klimaschutz werden Menschen in den unteren Einkommensgruppen in absehbarer Zeit mit deutlich weniger verfügbarem Einkommen ihren Alltag bestreiten müssen. Zumindest dann, wenn sich die Verteilungsentwicklung der letzten 25 Jahre fortsetzen sollte. Das prognostizieren der Ökonom Dr. Benjamin Held und die Verteilungsforscherin Dr. Irene Becker in ihrem von der Diakonie Deutschland in Auftrag gegebenen Gutachten. Gründe dafür seien die wachsende Einkommensungleichheit, die Kosten für Investitionen zum Beispiel in die Infrastruktur und steigende Preise. „Unser Gutachten zeigt, dass die Folgen der Klimakrise auch in Deutschland das Existenzminimum gefährden könnten, wenn die Politik nicht gegensteuert. Wir müssen neu darüber nachdenken, wie wir auch in Zukunft für alle die Teilhabe an der Gesellschaft sichern. Dazu müssen wir bei der Bestimmung des Existenzminimums ökologische Kriterien berücksichtigen. In Zukunft muss ein ‚sozial-ökologisches Existenzminimum‘ sicherstellen, dass wir niemanden bei der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft zurücklassen“, so Ronneberger.
Ein großes Problem sind die die gestiegenen Lohnunterschiede. Die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass die Einkommensungleichheit in den vergangenen 25 Jahren deutlich zugenommen hat. So sind die verfügbaren Einkommen der obersten zehn Prozent der Haushalte zwischen 1995 und 2020 preisbereinigt um 51 Prozent gestiegen, die der untersten zehn Prozent dagegen nur um vier Prozent. Zugleich ist der Regelsatz für Menschen, die Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter erhalten, im gleichen Zeitraum preisbereinigt sogar um drei Prozent gesunken und erreicht erst jetzt wieder das Niveau von 1995. Parallel dazu führt die Klimakrise zu deutlichen Preissteigerungen, zum Beispiel durch die CO2-Bepreisung. Dies kann dazu führen, dass sich Menschen mit geringem Einkommen nicht ausreichend am Klimaschutz und am gesellschaftlichen Leben beteiligen können, weil ihnen schlicht das Geld dafür fehlt. „Die Folgen des Klimawandels wie Extremtemperaturen und Unwetter treffen soziale Einrichtungen sowie Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen besonders hart. Klimaschutz und der Schutz vor Armut gehören untrennbar zusammen. Die nächste Bundesregierung steht zudem in der Verantwortung, soziale Einrichtungen bei den Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung finanziell zu unterstützen“, sagt Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands.
Die Abwärtsspirale kann durch einen Mix sozialpolitischer Maßnahmen durchbrochen werden. Dazu bedarf es unter anderem einer gezielten Stärkung von Geringverdienern, etwa durch eine Einkommensteuerreform, eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Reform der Grundsicherung. Dr. Brigitte Knopf, Direktorin und Gründerin von Zukunft KlimaSozial und stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, betont die gesamtgesellschaftlichen Chancen, die das Zusammendenken von Klimaschutz und sozialen Fragen bietet: „Wenn die sozial gerechte Transformation zur Klimaneutralität erfolgreich sein soll, kommt es vor allem darauf an, dass wir auch Haushalten mit unterem und mittlerem Einkommen ermöglichen, aus einem CO2-intensiven Lebensstil auszusteigen. Das kann gelingen, wenn wir Klima- und Sozialpolitik von Anfang an zusammendenken. Mit einem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, Ordnungsrecht, gezielter Förderung und einem sozial gestaffelten Klimageld ermöglichen wir eine positive Teilhabe an der Transformation für alle, stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Akzeptanz von Klimaschutz insgesamt.“ So könnten sowohl die Klimaziele erreicht als auch gesellschaftliche Teilhabechancen gesichert werden. Im Gutachten werden fünf Lösungsansätze vorgestellt, die besonders geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen und damit ein ‚sozial-ökologisches Existenzminimum‘ sicherzustellen.
Renate Krause, Aktive in der Selbstvertretung von Menschen mit Armutserfahrung, ergänzt: „Auch Menschen, die in Grundsicherung oder im Bürgergeldbezug leben, sind entschlossen, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Aber diese Mitwirkung ist nicht ohne Extra-Kosten möglich. Eine energetisch sanierte Wohnung ist gut für den Klimaschutz, aber der Umbau kann von Menschen mit wenig Geld nicht bezahlt werden. Viel zu häufig sind wir, besonders auf dem Land, auf das Auto angewiesen. Gut ausgebaute Infrastruktur und ein deutschlandweites Sozialticket fehlen immer noch. Gesunde und ökologisch produzierte Lebensmittel sind nicht finanzierbar. So können in Armut Lebende den Weg zur Klimaneutralität nicht unterstützen, der Weg bleibt verschlossen! Nur ein ‚sozial-ökologisches Existenzminimum‘ sichert die Möglichkeit zur Teilhabe an dieser Transformation! Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein.“
Weitere Informationen
Gutachten „Sozial-ökologisches Existenzminimum – Herausforderungen und Lösungsansätze für ein menschenwürdiges Existenzminimum in Zeiten der Transformation“
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