Illustration sexualisierte Gewalt
© Diakonie/Francesco Ciccolella

Richtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Anerkennung sexualisierter Gewalt

Richtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Anerkennung sexualisierter Gewalt (Anerkennungsrichtlinie-EKD)

Aufgrund von Artikel 9 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Zustimmung der Kirchenkonferenz die folgende Richtlinie beschlossen. Dies ist eine nicht-amtliche Entwurfsfassung, die dem Beschluss des Rates der EKD zugrunde lag. Rechtsgültig ist die Fassung, die im Amtsblatt der EKD erscheinen wird.

Präambel

Aus dem christlichen Menschenbild erwachsen die Verantwortung und der Auftrag, Menschen im Wirkungskreis der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie, insbesondere hilfe- und unterstützungsbedürftige Menschen und vor allem Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen und ihre Würde zu bewahren. Dies beinhaltet auch den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Im Bewusstsein, dass Menschen im Raum der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie sexualisierte Gewalt erlitten haben und aufgrund des Fehlens geeigneter staatlicher Systeme, übernehmen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), ihre Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. (EWDE) und die gliedkirchlichen Diakonischen Werke Verantwortung für das Unrecht, indem sie ein Verfahren eigener Art einsetzen, dass Betroffenen von sexualisierter Gewalt in den Institutionen die Möglichkeit eröffnet, Anerkennung zu erfahren. Sie erkennen das Leid an, das den Betroffenen sexualisierter Gewalt im Raum von Kirche und Diakonie widerfahren ist, und berücksichtigen die daraus resultierenden individuellen Folgen. Sie setzen sich für einen wirksamen Schutz vor sexualisierter Gewalt ein und wirken auf Aufarbeitung hin.

§ 1 Zweck und Geltungsbereich

  1. Diese Richtlinie regelt die Grundlagen der Verfahren zur Anerkennung des erlittenen Leides und der daraus resultierenden individuellen Folgen durch sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie durch Anerkennungskommissionen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren eigener Art. Verfahrensvorschriften in Bezug auf andere Verfahren finden keine Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Das Verfahren ist nach den Bedürfnissen Betroffener zu gestalten.
  2. Die Anerkennungskommissionen sollen als gemeinsame Kommissionen in Verbünden zwischen Gliedkirchen und Diakonie arbeiten.
  3. Diese Richtlinie findet Anwendung für die EKD. Den Gliedkirchen und der Diakonie wird empfohlen, entsprechende Regelungen auf Grundlage dieser Richtlinie zu treffen und dabei die evangelischen Jugendverbände einzubeziehen. Die EKD und das EWDE haben die Möglichkeit, selbst eine Anerkennungskommission für ihren Bereich zu errichten oder sich einer regionalen Anerkennungskommission anzuschließen.
  4. Aus der Entscheidung der Anerkennungskommission ergeben sich keine Rechtsfolgen im Hinblick auf diejenigen Personen, die nach den Angaben betroffener Personen sexualisierte Gewalt verübt haben.
  5. Soweit die Vorwürfe strafrechtlich relevant oder nicht offensichtlich unverfolgbar sind, sollen, sofern dies nicht schon durch die betroffenen Personen veranlasst ist, die Institutionen die Strafverfolgungsbehörden informieren und um Prüfung bitten.
  6. Die Institutionen können in Absprache mit den betroffenen Personen Ansprüche gegenüber denjenigen Personen geltend machen, die nach Angaben der betroffenen Personen sexualisierte Gewalt verübt haben. Dafür sollen die Ansprüche der betroffenen Personen in dem Umfang der gezahlten Anerkennungsleistungen auf die Institutionen übergehen.

§ 2 Begriffsbestimmungen

  1. Für den Begriff der sexualisierten Gewalt gilt die Begriffsbestimmung aus der Gewaltschutzrichtlinie-EKD in der jeweils aktuellen Fassung.
  2. Betroffene Personen im Sinne dieser Richtlinie sind Menschen, die sexualisierte Gewalt durch Mitarbeitende der Institutionen gelegentlich der Erfüllung ihres dienstlichen Auftrags oder in Folge eines aus dem dienstlichen Auftrag erwachsenen Abhängigkeitsverhältnisses durch Tun oder Unterlassen erlitten haben. Im Sinne dieser Richtlinie sind Personen, die ein Formular für Anerkennungsleistungen eingereicht haben, bis zur Entscheidung der Anerkennungskommission wie betroffene Personen anzusehen und zu behandeln, ohne dass damit eine Entscheidung der Anerkennungskommission vorweggenommen würde.
  3. Mitarbeitende im Sinne dieser Richtlinie sind in einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder in ihrer Ausbildung Beschäftigte sowie ehrenamtlich Tätige.
  4. Anerkennungsleistungen sind materielle und immaterielle Leistungen als Beitrag zur Linderung des Leides und der daraus resultierenden individuellen Folgen.
  5. Geschäftsstelle im Sinne dieser Richtlinie ist die Organisationseinheit, die die Arbeit einer Anerkennungskommission geschäftsführend begleitet.
  6. Als Institution im Sinne dieser Richtlinie werden die EKD, ihre Gliedkirchen, die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, das EWDE sowie die gliedkirchlichen Diakonischen Werke und ihre Mitglieder verstanden. Für den Fall, dass die Institution, in deren Zuständigkeitsbereich sexualisierte Gewalt verübt wurde, aufgelöst oder übernommen wurde, kann die betroffene Person Anerkennungsleistungen erhalten, wenn die Institution vorher die Voraussetzungen dieses Absatzes erfüllte.

§ 3 Einleitung des Verfahrens

  1. Um betroffenen Personen Zugang zu Anerkennungsleistungen zu gewähren, ist ein Formular von der Geschäftsstelle in geeigneter Weise zur Verfügung zu stellen. Für den Geltungsbereich der Richtlinie wird ein im Bereich der EKD einheitliches Formular von EKD, EWDE und dem Beteiligungsforum bereitgestellt. Bestehende Dokumente, die die Tat oder die Folgen der Tat schildern, sind dem Formular beizufügen. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle besonders geschult sind, um den besonderen Bedürfnissen von betroffenen Personen gerecht zu werden.
  2. Eine betroffene Person kann sich, sofern gewünscht, durch eine Person ihres Vertrauens begleiten und durch eine bevollmächtigte Person vertreten lassen. Die Person ihres Vertrauens und die bevollmächtigte Person können auch identisch sein. Die Hinzuziehung mehrerer Personen ihres Vertrauens für eine betroffene Person kann die Anerkennungskommission in begründeten Ausnahmefällen zulassen. Der Person ihres Vertrauens und der bevollmächtigten Person stehen die Erstattung von Reisekosten sowie eine Aufwandsentschädigung zu. Die Geschäftsstelle holt von den vorgenannten Personen jeweils eine Selbstverpflichtungserklärung zur Verschwiegenheit über die im Rahmen des Anerkennungsverfahrens bekanntgewordenen Inhalte ein.
  3. Für den Fall, dass die Zuständigkeit mehrerer Anerkennungskommissionen berührt sein könnte, ist das Formular nur einmal einzureichen. Die Anerkennungskommission, bei der das Formular eingegangen ist, informiert daraufhin die weiteren gegebenenfalls zuständigen Anerkennungskommissionen. Alle beteiligten Anerkennungskommissionen einigen sich auf eine das Verfahren führende Anerkennungskommission.
  4. Die Geschäftsstelle stellt der betroffenen Person schon vor Einreichung des Formulars vollständige und transparente Informationen zum Ablauf des Verfahrens zur Verfügung für den Fall, dass dies von der betroffenen Person gewünscht ist. Auf Wunsch erhält die betroffene Person bei der Einreichung des Formulars Unterstützung durch die Geschäftsstelle.
  5. Mit Einreichen des Formulars erklärt sich die betroffene Person mit einer Kontaktaufnahme einverstanden. Die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle und die Mitglieder der Anerkennungskommission sind nicht von ihren Pflichten entbunden, die jeweils zuständigen Melde- und Ansprechstellen über mögliche Verdachtsfälle zu informieren. Sie wirken darauf hin, dass die Interessen der betroffenen Personen gewahrt bleiben.
  6. Die Geschäftsstelle leitet das Formular an die Anerkennungskommission weiter.

§ 4 Weiteres Verfahren

  1. Die betroffene Person hat das Recht, sich wahlweise schriftlich, mündlich in einem Gespräch oder in anderer Weise zu äußern. Die betroffene Person kann sich dafür entscheiden, sich nicht weiter zu äußern.
  2. Für den Fall, dass ein Gespräch stattfinden soll, wird dies gemeinsam mit der betroffenen Person durch die Geschäftsstelle – unter Einbezug der Mitglieder der Anerkennungskommission – hinsichtlich Zeit, Raum, Ablauf und Teilnehmenden vorbereitet und abgestimmt. In jedem Stadium des Verfahrens ist auf betroffenensensible Kommunikation zu achten. Das Gespräch ist nicht öffentlich. Für den Fall, dass die betroffene Person dies wünscht, ist eine vertretungsberechtige oder sonst bevollmächtigte Person der Institution zum Gespräch hinzuzuziehen, in deren Bereich die sexualisierte Gewalt stattgefunden hat. Über das Gespräch ist eine Niederschrift von der Geschäftsstelle zu fertigen, die auch der betroffenen Person zur Verfügung gestellt wird.
  3. Die Anerkennungskommission gibt der Institution vor ihrer Entscheidung Gelegenheit, sich zu dem geschilderten Sachverhalt zu äußern.
  4. Die Gliedkirchen und diakonischen Werke können in Abstimmung mit ihren Mitgliedern Regelungen zur Finanzierung der laufenden Kosten der Arbeit der Anerkennungskommission sowie zur Finanzierung und Bewirkung der Anerkennungsleistungen treffen. Dabei sind rechtliche sowie wirtschaftliche Aspekte aller Agierenden zu beachten, um die Durchführung der Anerkennungsverfahren und die Bewirkung der Anerkennungsleistungen sicherzustellen.
  5. Betroffene sind durch die Anerkennungskommission über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu informieren.

§ 5 Plausibilität

  1. Die Anerkennungskommission prüft den vorgetragenen Sachverhalt auf Plausibilität und trifft anschließend ihre Entscheidung. Die Plausibilität einer Tatschilderung, insbesondere zu beschuldigter Person, Tatort, Tatzeit und Tathergang, als Voraussetzung für den Erhalt von Anerkennungsleistungen ist dann gegeben, wenn sie objektiven Tatsachen nicht widerspricht und im Übrigen bei Würdigung aller Umstände eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit spricht.
  2. Die Anerkennungskommission ist berechtigt, bei den Institutionen im Rahmen der Plausibilitätsprüfung Auskünfte einzuholen. Die Anerkennungskommission ist nicht berechtigt, von der betroffenen Person oder sie behandelnden Personen medizinische oder psychologische Gutachten einzufordern.
  3. Einer Plausibilitätsprüfung bedarf es nicht, wenn die geschilderte Tat sich bereits aus den Feststellungen einer gerichtlichen Entscheidung ergibt, durch ein kirchliches Disziplinarverfahren, ein Strafverfahren oder wenn die Feststellungen Bestandteil eines Bescheides nach dem Entschädigungsrecht sind.

§ 6 Entscheidung und Gegenvorstellung

  1. Die Anerkennungskommission teilt ihre Entscheidung der betroffenen Person mündlich mit und bestätigt diese danach schriftlich. Die Entscheidung ist mit Gründen zu versehen. Auf die mündliche Mitteilung kann die betroffene Person verzichten. Bei der Übermittlung weist die Anerkennungskommission auf die Auswirkungen der Entscheidung hin. Eine Ausfertigung der Entscheidung wird an die Institution übersandt. 
  2. Zur Überprüfung der Entscheidung der Anerkennungskommission steht der betroffenen Person das Recht der Gegenvorstellung zu. Über die Gegenvorstellung entscheidet die Anerkennungskommission. Die Gegenvorstellung ist innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich bei der Geschäftsstelle einzureichen. Die Gegenvorstellung ist zu begründen.
  3. Für den Fall neuer Tatsachen kann ein neues Formular eingereicht werden.
  4. Gegen die Entscheidung der Anerkennungskommission in Reaktion auf die Gegenvorstellung kann die betroffene Person eine Eingabe an die Koordinierungskommission richten. Die Eingabe ist zu begründen und muss innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich bei der Geschäftsstelle der zuständigen Anerkennungskommission eingereicht werden.
  5. Die Eingabe wird an die gemeinsame Koordinierungskommission weitergeleitet, die bei EKD und EWDE eingerichtet wird. Die Koordinierungskommission besteht aus den vorsitzenden Personen der Anerkennungskommissionen. Die Koordinierungskommission entscheidet mit dreien ihrer Mitglieder unter Berücksichtigung der Eingabe auf Grundlage der angegriffenen Entscheidung erneut über die Anerkennungsleistung, wenn diese der Höhe nach wesentlich von den Entscheidungen anderer Anerkennungskommissionen in vergleichbaren Fällen abweicht. Die Koordinierungskommission beschließt über die Verteilung ihrer Geschäfte. Im Übrigen gelten für die Koordinierungskommission die Vorgaben dieser Richtlinie entsprechend. Das Verfahren wird im Grundsatz schriftlich geführt. Die betroffene Person hat das Recht auf eine Anhörung.

§ 7 Anerkennungsleistungen

  1. Aufgrund der besonderen Verantwortung der Institution gegenüber betroffenen Personen werden Anerkennungsleistungen bewirkt.
  2. Anerkennungsleistungen sind Leistungen eigener Art. Aus der Zuerkennung von Anerkennungsleistungen können keine weiteren Rechte abgeleitet werden.
  3. Anerkennungsleistungen, die in Geld ausbezahlt werden, werden nach Absprache mit der betroffenen Person entweder einmalig als Gesamtsumme oder in Teilbeträgen ausgezahlt. Die Leistungen setzen sich grundsätzlich aus zwei Teilen zusammen:

a) einer individuellen Leistung, die die Tat und ihre Folgen und das Verhalten der Institution berücksichtigt und

b) einer pauschalen Leistung in Höhe von 15.000 €.

  1. Wenn die Tat weder zur Tatzeit noch zum Zeitpunkt der Kommissionsentscheidung den objektiven Tatbestand einer Strafvorschrift nach dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (StGB) erfüllen würde, entfällt die Leistung gemäß Absatz 3 Buchstabe b).
  2. Betroffene Personen, die vor Inkrafttreten dieser Richtlinie Anerkennungsleistungen erhalten haben, können für eine Aufstockung der Anerkennungsleistungen ohne erneute individuelle Fallprüfung ein neues Formular einreichen, insofern die Tat gemäß Absatz 4 die Leistung gemäß Absatz 3 Buchstabe b) nicht entfallen ließe und die Summe der Anerkennungsleistungen nicht die Höhe der Leistung gemäß Absatz 3 Buchstabe b) erreicht. Die Geschäftsstellen weisen den berechtigten Personenkreis auf diese Möglichkeit hin.
  3. Betroffene Personen, die vor Inkrafttreten dieser Richtlinie Anerkennungsleistungen erhalten haben, sind ferner berechtigt, eine Gegenvorstellung im Sinne von § 6 Absatz 2 einzulegen. Der Fall wird dann erneut auf der Basis der geltenden Regelungen individuell geprüft. Die Geschäftsstellen weisen den berechtigten Personenkreis auf diese Möglichkeit hin. Eine Rückforderung von bereits gezahlten Leistungen ist ausgeschlossen. Leistungen, die aufgrund von Vorgaben der Geschäftsstelle des Fonds Sexueller Missbrauch aus dem Ergänzenden Hilfesystem des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend oder im Rahmen des Entschädigungsrechts gewährt wurden, werden auf die Anerkennungsleistung nicht angerechnet. Sogenannte Unterstützungsleistungen, die betroffenen Personen in akuten Notlagen helfen sollen, werden nicht durch die Anerkennungskommissionen zuerkannt.
  4. Neben Anerkennungsleistungen, die in Geld ausbezahlt werden, können im Einvernehmen mit der betroffenen Person immaterielle Anerkennungsleistungen zuerkannt werden.
  5. Auf die Anrechnung von Anerkennungsleistungen, die in Geld ausbezahlt werden, auf gegebenenfalls bestehende sonstige Sozialleistungen und Fragen der Versteuerung wird die betroffene Person ausdrücklich durch die Geschäftsstelle in geeigneter Weise hingewiesen. Dies gilt auch für die gesetzliche Meldepflicht bezüglich der Zahlungen von Anerkennungsleistungen an die zuständigen Finanzbehörden.
  6. Der betroffenen Person steht es frei, für den Fall ihres Todes vor Entscheidung durch die Anerkennungskommission eine Person, an welche die Leistung ausgezahlt werden soll, zu benennen. In diesem Fall wird das Verfahren nach dem Tod der betroffenen Person fortgeführt und die Anerkennungsleistung an die begünstigte Person gezahlt. Das Gleiche gilt, falls die betroffene Person sich für die Auszahlung in Teilbeträgen entschieden hat und zum Zeitpunkt des Todes noch nicht alle Teilbeträge geleistet worden sind.

§ 8 Anerkennungskommission

  1. Die Anerkennungskommission ist mit mindestens drei, in jedem Fall mit einer ungeraden Anzahl an Personen, besetzt. Die Einsetzung von Stellvertretungen ist zulässig. Die Mitglieder werden durch die entsprechenden Leitungsorgane der Mitglieder des Verbundes im Sinne von § 1 Absatz 2 berufen. Die Mitarbeit in der Anerkennungskommission erfolgt ehrenamtlich, für ihre Tätigkeit erhalten die Mitglieder eine angemessene Aufwandsentschädigung. Es sollen verschiedene Geschlechter, unterschiedliche berufliche Hintergründe sowie Fachkenntnisse im Umgang mit Betroffenen berücksichtigt werden. Wenigstens ein Mitglied der Anerkennungskommission soll die Befähigung zum Richteramt haben, wenigstens eine weitere Person soll eine traumatherapeutische Qualifikation aufweisen. Die Anerkennungskommissionen sind berechtigt, sich Geschäftsordnungen zu geben.
  2. Beschäftigte der evangelischen Kirche oder Diakonie und unmittelbar angeschlossener Institutionen können nicht Mitglieder der Anerkennungskommission sein. Ehemalige Beschäftigte und im Ruhestand befindliche Personen dürfen Mitglieder der Anerkennungskommission sein, aber nicht deren Mehrheit stellen. Bei allen Mitgliedern ist öffentliche Transparenz über kirchliche oder diakonische Ehrenämter herzustellen.
  3. Vor der Neubesetzung eines Sitzes in der Anerkennungskommission sind im Amt verbleibende Mitglieder anzuhören.
  4. Die Mitglieder der Anerkennungskommission üben ihre Tätigkeit für die Anerkennungskommission frei von Weisungen aus und sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit sich aus dieser Richtlinie nichts anderes ergibt.
  5. Die Mitglieder der Anerkennungskommission sind vor Beginn der Mitgliedschaft in der Anerkennungskommission zu schulen und erhalten Angebote für eine tätigkeitsbegleitende Supervision.
  6. Die Mitglieder der Anerkennungskommission reflektieren regelmäßig, mindestens einmal jährlich, ihre Spruchpraxis in einer gesonderten Sitzung.
  7. Zur Förderung einer vergleichbaren Spruchpraxis der jeweiligen Anerkennungskommissionen sollen diese sich in der Bemessung der individuellen Leistungen gemäß § 7 Absatz 3 Buchstabe a) an einem Anhaltskatalog orientieren, den das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD in Abstimmung mit den vorsitzenden Personen der Anerkennungskommissionen erarbeitet und der durch die Kirchenkonferenz der EKD und den Ausschuss Diakonie der Diakonie Deutschland beschlossen wird. Der Anhaltskatalog stellt eine Sammlung von hypothetischen Fällen sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie dar, denen auf Basis der Entscheidungen deutscher Zivilgerichte eine Anerkennungsleistung zugeordnet ist. Der Anhaltskatalog wird laufend fortentwickelt.
  8. Die Anerkennungskommission unterhält einen Internetauftritt, auf dem Informationen zu den Mitgliedern, dem Verfahren, den Anerkennungsleistungen und dieser Richtlinie zu finden sind. Der Internetauftritt enthält Informationen zur Arbeit der Anerkennungskommission auch in leichter Sprache.

§ 9 Dokumentation und Datenschutz

  1. Die Anerkennungskommission ist befugt, personenbezogene Daten im Sinne von § 4 Nummer 1 und besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von § 4 Nummer 2 Buchstaben a) bis f) des Kirchengesetzes über den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (DSG-EKD) zu verarbeiten, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben nach dieser Richtlinie erforderlich ist.
  2. Die personenbezogenen Daten nach Absatz 1 sind zehn Jahre nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens zu speichern. Sie können für eine angemessene Frist länger verarbeitet werden, wenn und soweit dies für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist, jedoch nicht länger als dreißig Jahre.
  3. Die Geschäftsstelle dokumentiert die von der Anerkennungskommission bearbeiteten Fälle. Betroffenen Personen ist auf Anfrage Einsicht in die jeweilige Akte zu ihrem Fall zu gewähren, soweit keine Rechte dritter Personen dem entgegenstehen. Die Geschäftsstelle holt von akteneinsichtsberechtigten Dritten eine Selbstverpflichtungserklärung zur Verschwiegenheit über die sich aus der Akteneinsicht ergebenden Inhalte ein, soweit die Weitergabe der Daten nicht zum Zweck der institutionellen Aufarbeitung zwingend erforderlich ist. Vor Weitergabe von Daten zum Zweck der institutionellen Aufarbeitung an weitere, mit der Aufarbeitung beschäftigte Dritte, haben akteneinsichtsberechtigte Personen diese gegenüber der Geschäftsstelle namentlich zu benennen und dafür Sorge zu tragen, dass diese wiederum gegenüber der Geschäftsstelle eine Selbstverpflichtungserklärung zur Verschwiegenheit, über die im Rahmen der institutionellen Aufarbeitung bekanntgewordenen Daten abgeben. Soll eine Fallakte der Anerkennungskommission für die institutionelle Aufarbeitung sexualisierter Gewalt durch Dritte eingesehen werden, muss hierfür die Zustimmung der betroffenen Person eingeholt werden, soweit nicht der Tatbestand von § 50a DSG-EKD erfüllt ist.
  4. Die Geschäftsstelle hält in anonymisierter Form die Anzahl der Fälle, die Höhe der Anerkennungsleistungen und den jeweiligen Kontext fest, in dem die betroffene Person Unrecht erfahren hat, und leitet diese Informationen als Gesamtsummen jährlich auf Anfrage an EKD und EWDE weiter, die eine Gesamtdokumentation führen und veröffentlichen. Der jeweilige Kontext umfasst, ob die Tat in der Diakonie oder einer Gliedkirche verübt wurde, das Alter und das Geschlecht der betroffenen Person zum Tatzeitpunkt, die Profession der für die Tat verantwortlichen Person sowie deren Geschlecht zum Tatzeitpunkt und die Art der Tat.
  5. Die Geschäftsstelle führt ferner eine anonymisierte Dokumentation der Spruchpraxis, die jährlich an die Koordinierungskommission weitergeleitet wird.

§ 10 Vernetzung

  1. Die vorsitzenden Personen sowie die Geschäftsstellen der Anerkennungskommissionen von Gliedkirchen und Landesverbänden der Diakonie tauschen sich regelmäßig, mindestens jährlich, auf Ebene der EKD und der Diakonie aus. Dies umfasst insbesondere einen Austausch über die Spruchpraxis in den Anerkennungskommissionen sowie die Weiterentwicklung des Anhaltskatalogs. Mitglieder des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der EKD nehmen an den Treffen als Gäste teil.
  2. Die Anerkennungskommission weist regelmäßig, mindestens jährlich, im Austausch mit den Leitungsorganen der Gliedkirchen und den Landesverbänden der Diakonie, in deren Bereich sie zuständig ist, auf ihre Spruchpraxis und die damit verbundenen Erkenntnisse hin, um die Institutionen zu unterstützen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
  3. Eine Einzelfallbesprechung findet nicht statt.

§ 11 Evaluation

Diese Richtlinie wird laufend evaluiert.

§ 12 Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am 1. April 2025 in Kraft.

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